preloder

Schmerz

„An Amor!

Erlogen ist das Flügelpaar,

Die Pfeile, die sind Krallen,

Die Hörnerchen verbirgt der Kranz,

Er ist ohn‘ allen Zweifel,

Wie alle Götter Griechenlands,

Auch ein verkappter Teufel.“

  • Goethe, Faust

 

Warum können wir Schmerz genießen? Warum ist es einfacher traurig zu sein, als glücklich zu sein? Wieso können wir uns das so leicht einreden? Warum suhlt man sich im Selbstmitleid und fühlt sich stark dabei? Wieso können wir uns selbst bewusst manipulieren? Wieso können wir uns selbst zerstören? Lieben wir uns selbst so wenig?

„[…] das asketische Ideal entspringt dem Schutz- und Heil-Instinkte eines degenerierten Lebens“ (Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, S. 366). Was hat es mit dem Schmerz auf sich? Warum tun wir uns selbst Schmerz an? „Wir sind schließlich Menschen, wir entwickeln früh Schuldgefühle, haben Angst, wenn das Glück machbar wird, und haben den Drang, die anderen zu bestrafen, weil wir uns ständig ohnmächtig, ungerecht behandelt und unglücklich fühlen. Für seine Sünden bezahlen und die Sünder bestrafen können – ist das nicht köstlich?“ (Paul Coelho, Elf Minuten, S. 208). Auch ich habe mich schon oft im Selbstmitleid gesuhlt und bewusst in diesen Zustand gebracht und irgendwann, als der Schmerz überwunden war, habe ich mich tatsächlich danach zurückgesehnt (nicht nur aus Genuss, sondern vor allem aus künstlerischen Gründen, da Kummer meine Kreativität anregt), als ich mir dann den Blödsinn aus dem Kopf geschlagen habe, habe ich mich gefragt, wieso wollte ich diese Gefühle, diesen Schmerz, genauso wie beim ersten Mal, wieder durchleben. Einige Male durchlebte ich diesen Kreislauf des Sich-nach-Schmerz-sehen-und-dann-fragen-wieso. Bis ich mir dann schließlich komplett albern vorgekommen bin. Wieso könnte jemand freiwillig so etwas tun? Ist das menschlich oder sind alle Schmerzfanatiker krank?

Zu diesem Thema, was schon lange, leise in meinem Kopf rumschwirrt, bin ich gekommen, als ich etwas über Kafka las. Kafka inspiriert mich eigentlich fast immer. Und wenn ich Kafka lese, stelle ich ihn mir immer als Autor vor, wie er nachts, es muss nachts sein, an seinem Schreibtisch sitzt und schreibt; und dann denke ich immer auch an mich, Emilia, die Autorin und sehe mich ebenso nachts am Schreibtisch sitzend und schreibend. Kafka berührt mich, wie es kein anderer Autor kann.

Ich las eine Beschreibung über Kafka von Franz Blei 1922 im ‚Bestarium der modernen Literatur‘ veröffentlicht: „‚Die Kafka‘ nun sei ‚eine sehr selten gesehene prachtvolle mondblaue Maus, die kein Fleisch frißt, sondern sich von bitteren Kräutern nährt. Ihr Anblick fasziniert, denn sie hat Menschenaugen.‘“ (Haimo Stiemer, Das Habitat der monblauen Maus, S. 127) und eine dazugehörige Kritik von Gregor Eisenhauer: „Die Erbärmlichkeit einer Kreatur, die, gefangen in einem falschen Körper, auf ihre Auslieferung an ein erbarmungsloses Schicksal wartet und im Glauben an ihre Mitschuld selbst dafür kasteit – nicht ohne Vergnügen.“ (Ebd.). Kafka ‚kasteit‘ (bestraft) sich selbst und weiter heißt es ‚nicht ohne Vergnügen‘ – es macht ihm auch noch Spaß! und da kam es über mich, und ich erinnerte mich an all die Texte, die ich las in denen der Schmerz als etwas genussvolles beschrieben wurde. Alleine schon ‚Venus im Pelz‘ von Leopold von Sacher-Masoch. In dem Text geht es um einen Mann, der von einer Frau Gewalt angetan bekommen will, weil ihn das glücklich macht. „Lieben, geliebt werden, welch ein Glück! und doch wie verblaßt der Glanz desselben gegen die qualvolle Seligkeit, ein Weib anzubeten […], die uns unbarmherzig mit Füßen tritt.“ (Leopold von Sacher-Masoch, Venus im Pelz, S. 14). Warum finden es Menschen sexuell erregend, wenn sie Schmerz empfinden? „‚Sie sehen die Liebe und vor allem das Weib‘, begangen sie, ‚als etwas Feindseliges an, etwas, wogegen Sie sich, wenn auch vergebens, wehren, dessen Gewalt Sie aber als eine süße Qual, eine prickelnde Grausamkeit fühlen; eine echt moderne Anschauung!‘“ (Ebd. S. 17). „Als ich die Demütigung und die totale Unterwerfung erfahren habe, war ich frei.“ (Paul Coelho, Elf Minuten, S. 204). In dem Buch ‚Elf Minuten‘ von Paul Coelho geht es um eine Frau, Maria, die aus Brasilien in die Schweiz kommt und dort Prostituierte wird. Ein Freier, den sie einige Male trifft, führt sie in die Welt des Sadomasochismus, „Ich sage es noch einmal: Es liegt in der Natur des Menschen. Seit wir aus dem Paradies vertrieben worden sind, erfahren wir Leid oder sehen zu wie andere leiden. Das lässt sich nunmal nicht ändern.“ (Ebd. S.190), und es gefällt ihr, es gefällt ihr Schmerzen zu erleiden, so gut, dass sie einen Orgasmus bekommt. Doch ihr Freund, nachdem sie es ihm erzählt hat, will sie davon wegbringen und redet ihr das Gefallen am Schmerz aus. Hat er recht? Nietzsche, unser liebster, meist missverstandener Nihilist meint über den asketischen Priester in seiner Genealogie der Moral: „[…] hier wird ein Versuch gemacht, die Kraft zu gebrauchen […] hier richtet sich der Blick grün und hämisch gegen das physiologische Gedeihen selbst […], die Schönheit, die Freude; während am Missraten, Verkümmern, am Schmerz, am Unfall, am Hässlichen, an der willkürlichen Einbusse, an der Entselbstung, Selbstgeisselung, Selbstopferung ein Wohlgefallen empfunden und gesucht wird.“ (Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, S. 363). Und hat er Recht? Ist Schmerz ein Teil von uns, wie Freude, Liebe, Ekel, Furcht, Unzufriedenheit? – das ist so zu fragen, ob Bono Teil der Band U2 ist. Aber warum gefällt es uns? Warum können wir uns danach sogar sehnen? Wie Elif mit ihrem neuen Album (was erst im September diesen Jahres rauskommt) ‚ENDLICH TUT ES WIEDER WEH‘. – Endlich ist der Schmerz wieder da und Elif kann darüber singen. Bringt der Schmerz uns irgendwie weiter? Kann der Schmerz etwas für uns tun, außer schmerzhaft zu sein? Ist am Ende doch nicht alles so schwarz-weiß und Schmerz ist nicht negativ sowie von uns (zum Schutz?) festgelegt? Lassen wir uns Chancen entgehen, wenn wir den Schmerz nicht zulassen? Oder sind wir dumm, wenn wir darin eine Lust empfinden können?

Ist es am Ende ambivalent?

Keine zufriedenstellende Antwort, wenn es überhaupt eine ist. Aber hier halte ich mich wie Kafka, der seine Figuren auch Fragen stellen ließ, große Fragen über das Leben, und diese auch nie eine Antwort bekommen haben (vgl. Yvonne Al-Taie, Poetik der Unverständlichkeit, S. 295).

zwischendurch 2021

Jedes Jahr denke ich, dass viel passiert ist – doch ich nichts gemacht habe, ich immer noch nicht weitergekommen bin. Drumherum wurden Entscheidungen getroffen, Zeit ist vergangen, alle sind ein Schritt weitergekommen und ich bin immer noch an dem Ort wie vor fünf Jahren. Zwischendurch sah es noch schlimmer aus und manchmal auch besser, aber insgesamt habe ich nichts erreicht. Nicht schlimm sagt ihr vielleicht. Es ist auch nicht schlimm. Wir werden nicht geboren um erfolgreich zu werden, sondern um zu leben. Aber ich bin weder erfolgreich, noch lebe ich.

 

Dann denke ich wiederum, es ist so unfassbar viel passiert, ich habe so unfassbar viel gelernt für mich persönlich. Es musste alles so kommen wie es kam und es ist ok so. Aber das ist zu wenig. Es hätte nicht viel gebraucht, aber selbst das war mir zu viel – und ich wäre weiter. Ich glaube, ich bin nicht so toll und nicht so schlau wie ich denke, bei weitem nicht. Ich glaube, ich halte zu viel von mir. Ich glaube, ich denke, ich könnte so viel mehr. Vielleicht kann ich es. Aber anscheinend nicht. Bin ich zu streng mit mir? Vielleicht nicht streng genug? Es geht nicht darum, wie alt ich bin, es geht darum, dass ich mich im Alltag sehe, und ich sehe nichts. Meine größte Schwäche ist, dass ich weder ehrgeizig noch diszipliniert noch zielstrebig bin. Und es ist ok. Ich verurteile mich nicht dafür, zumindest nicht oft. Doch wenn ich diese Eigenschaften nicht besitzen würde, wer weiß, ob ihr diese Worte nicht auf meinem Blog, sondern in meinem ersten Buch lesen würdet. Vielleicht bin ich Größenwahnsinnig. Vielleicht habe ich meinen Sinn verloren (if u know u know). Zumindest habe ich keine Energie. Jeden Tag, wenn ich aufstehe, fühle ich mich wie gerädert. Ich kann nix, denn ich mach nix und ich mach nix, denn ich kann nix, weil ich keine Kraft habe. Der ewige Kreislauf.

Ich glaube, mir geht es ganz gut doch, ich schwebe im Nichts, kurz vor dem Abschluss und beschäftige mich konsequent nicht mit den wichtigen Fragen, weil ich zu schwach bin. Ich fühle mich um einiges besser, nicht einsam aber doch meistens allein, ich muss alles allein schaffen und deshalb schaffe ich nichts. So fühlt es sich an. Eigentlich fühl ich mich gut, das denke ich zumindest und doch manchmal ist mir alles zu viel, selbst eine kleine Aufgabe.

Ich denke ich brauche eine Pause, aber wie viele Pausen kann man noch machen? Ich mache nichts anderes außer Pausen. Deswegen komme ich auch nicht weiter. Und bei allen Pausen komme ich immer noch nicht zu Kräften.

Was fehlt mir also? Ein Funke? Woher krieg ich den? Was ist das? Und sind dann alle meine Probleme gelöst? Da kann ich nur müde lachen. Warum bin ich müde? Ich tue nichts. Wer oder was gibt mir Kraft?

 

Ich glaube auch, dass viele momentan müde sind und es ist ok müde zu sein. Wie kommt man da wieder raus? Was soll man tun? Das gilt es 2022 herauszufinden. Guten Rutsch… ich wünsche euch Gesundheit, gesunden Menschenverstand und viel Kraft.

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Ungefähr einen Monat später sitze ich wieder hier und schreibe diese Worte, immer noch müde. Ich war echt weinerlich… aber darum soll es jetzt nicht gehen. Ich habe in diesem Jahr mir zwei sehr engstehende und über alles geliebte Personen verloren und nicht einmal „online“ darüber gesprochen, ich bin mit meiner Trauer lieber in der Familie oder für mich – offline. Und nichts was ich hätte schreiben können, wäre ihnen gerecht geworden und den Gefühlen, die meine Familie und ich haben. Dieses Jahr kam mir vor, wie ein Jahrzehnt, weil so viel passiert ist und doch raste es in unvorstellbarer Geschwindigkeit an mir vorbei, weil so viel passiert ist und ich einfach nicht hinterherkomme. 2021 war mit Sicherheit das schlimmste Jahr für mich. Und doch denke ich, dass ich emotional stabiler bin als 2017, als es mir auch sehr schlecht ging. Habe ich mich an den Schmerz gewöhnt? Habe ich gelernt damit umzugehen? Bin ich abgestumpft? Bin ich schlicht erwachsen geworden? Ich weiß es nicht. Warum beunruhigt es mich, dass ich damit umgehen kann? – Was auch immer der Grund dafür sein mag. Sollte ich lieber nicht darüber nachdenken? Was mir die meiste Angst macht, ist, dass ich vielleicht nur denke, dass ich emotional klarkomme und in Wirklichkeit alles nur verdränge. So fühlt es sich aber nicht an. Vielleicht sollte ich weniger nachdenken. Vielleicht bin ich einfach stabiler geworden. Es ist jedoch schwer das einfach zu akzeptieren, weil es schon so lange nicht so war. Ich bin nicht glücklich und strotze vor Hoffnung – versteht mich nicht falsch. Aber ich verzweifle nicht und fühle mich nicht so am Boden, wie ich es eigentlich gewöhnt war. Gruselig, wenn man eher daran gewöhnt ist labil zu sein.

Ursprünglich wollte ich mit dem heutigen Teil auf etwas anderes hinaus, aber die Gedanken schweifen dahin, wo sie hinwollen. Eigentlich wollte ich darauf hinaus, dass es herzzerreißend ist Leute zu verlieren, die einem Nahe stehen. Auch Menschen in meinem Umfeld haben geliebte Personen verloren in diesem Jahr, auch das beschäftigt mich, weil man ungefähr weiß, wie sie sich fühlen, auch wenn selbstverständlich jede Trauer individuell ist. Ich wollte sagen, dass man dankbar sein sollte, für die Zeit, die man am Leben ist und für die Menschen um einen herum. Die Welt ist verloren, die Menschheit ist verloren, der Planet Erde ist verloren, aber doch gibt es gute Menschen und jeder kennt mindestens eine Person– die sollte man schätzen und schützen. Ich weiß, ihr braucht nicht zu Schmunzeln, eine Braue hochzuziehen oder zu Schnauben, es ist sehr pathetisch was ich schreibe. Deswegen bin ich auch erst meinem anderen Impuls gefolgt.

 

Dieses Jahr fing ich „erst“ im November an meinen alljährlichen Jahresrückblick zu schreiben, wenn man bedenkt, dass ich es letztes Jahr schon im August tat. Das war so, weil ich eigentlich nach allem was war, zum ersten Mal, seit vielen Jahren schon, keinen Jahresrückblick schreiben wollte, weil ich wusste, dass er nicht positiv, sondern weinerlich, voller Selbstmitleid, pathetisch sein wird und mir meine Faulheit, die ich dieses Jahr wieder besonders gespürt habe, wie ein Spiegel vor die Nase hält. Und ich eigentlich auch nicht wirklich wusste, was ich dieses Jahr schreiben soll, alles erschien sinnlos und dumm. Vielleicht war ich auch faul, weil ich nicht das machen konnte, mit der gewohnten Leidenschaft und Lebensfreude wie sonst. Ich sehe selten, warum es sich lohnt sich aufzurappeln und etwas zu tun. Auch wenn ich mich emotional als relativ stabil einordne, sitzt mir die Trauer tief in den müden Knochen. Und sind wir mal ehrlich, diesen Quatsch liest sich sowieso fast niemand durch und ich habe nie gesagt, dass ich den Leuten kurz vor dem Jahreswechsel eine kleine positive Note mit auf den Weg gebe. Ich bin hin und her gerissen – ist das Leben schön oder ist es das nicht?

Wie steigt man aus solch einem Text aus? Mit einer positiven Note? Mit einem Zitat? Mit einem Witz? Es gibt Momente, da sehe ich die Dinge anders als hier beschrieben, aber das jetzt zu sagen, wäre eine Lüge.

Also guten Rutsch … i guess.

Eure, im echten Leben, Hippie-Philosophin Emi

fragmente einer verlorenen nacht_remastered

Sie stieg am Alexanderplatz aus. Sommeranfang. Es blieb lange hell – fast nie Düster. Busse, Taxis, Trams rauschten vorbei – hupten sie an. „Runter von der Straße!“. Diese Nacht war schwindelig, wie Trunkene in einem Birkenhaine.

Sie geht zum Unterwassertempel. Vielleicht geh ich ihr heimlich nach.

Teen-Queen so wie Steffi Graf. Der Späti hatte noch offen. Lustige Druffis und Yuppie-Visagen. Sie machte sich Wodka-O. „Was pöbeln, du Hund? Deine Mutter pöbelt!“ Man traf sich am Kottbusser Tor. Wir drehten Donuts auf einem Parkplatz. Alle trugen Nikes. Sie zog an einem Joint. Hips don’t lie. Ass out – Daisy Duck. Sie tanzten zu dem Autoscheinwerferlicht – Xenon. Sie zog ihre Hoop-Earrings zurecht. „Bevor wir sterben, bitte schieß ein Portrait.“ Ihre Sneaker waren mal weiß. Curtain Bangs rahmten ihr wunderschönes Gesicht. Eyeliner länger als das Crop-Top. Berlin ist nicht Beverly Hills. Draußen wird es frisch. Blaues Licht in der Stadt. „Was hab ich getan, Herr Kommissar? Wir sind doch brav. Was kann ich dafür, dass du nicht magst, was du da machst.“ Sie war high und sie lachte. Im Suff postete sie eine Story. Und so kam er. Keiner hatte ihn gerufen. Ihr Ex kreuzte auf. Der Scheißwichser! Er kam geradewegs auf sie zu. „Der Fahrstuhl am Westkreuz riecht noch immer nach Pisse und du weißt nicht, wie doll ich dich vermisse.“, sagte er. „Malchik-Gay.“, sie schubste ihn Weg, „Bringt Poseidon dich ins Bett? Du fragst zweimal, ich sag dreimal nein.“, rief sie ihm hinterher. Er verschwand so schnell, wie er gekommen war, sie schaute ihm lange hinterher. Immer wenn sie ‚immer‘ schreibt, weiß ich gleich, dass sie nicht mehr bleibt. Ich fall‘ in deine Arme, so wie in Stacheldraht. Du schaust zu, während ich ertrinke im Meer, in dem du nicht mehr bist. Es ist still geworden. Alle waren peinlich berührt. Starrten ins leere Glas. Sie saß auf der Motorhaube des schwarzen BMW 3ers. Plötzlich war sich niemand mehr sicher. Wo war die Attitude? Blaugrünes Licht. Sie holten sich Döner-Kebab und fuhren aus der Stadt raus – flohen, vor der unangenehmen Situation. Halten zum Heulen an tausend kleinen Trauerweiden. Und mancher Tage Stunden sind so. Wir saßen auf einer Brandenburger Schotterpiste. Nur Gigi D’Agostino mit Interrottamente konnte es noch retten. „Ist alles okay?“ Sie guckte hoch. „Wenn die Scheiße dir zu rough ist, hör doch Coldplay. Für Smalltalk bin ich leider viel zu wild.“ Die Hände wurden gehoben, wie bei einer Festnahme und es wurde sich weggedreht. „Ja geh lieber, wenn du Angst hast. Ich hab’ keine Angst vor dem Monster unter meinem Bett.“ Sie war angepisst, high und besoffen. „Soll ich ihm einfach wieder schreiben oder nicht? Wie kann man jemanden so krass vermissen?“. Sie seufzte – abermals. „Und jetzt?“, fragte jemand. „Vergiss ihn!“, sagte jemand anderes. Aber sie wusste nicht weiter. Sie saßen noch eine Weile rum und teilten ihren Liebeskummer von früher. „Ich war mal verliebt, was für eine Ironie.“ Dann wurde es hell. „Wir sollten uns auf den Weg machen.“

„Die Uhr will mir erzählen, dass es draußen schon Tag ist, doch ich lasse mir von Accessoires nicht erzählen, was der Plan ist.“ Sie lachten über sie, trugen sie ins Auto und fuhren wieder zurück.

Anything travelling faster than the speed of light is going back in time.

„Bringt Poseidon dich ins Bett?“

Bringt Poseidon mich ins Bett? Tiefsee hinter deinen Augen. Du bist so geschmeidig wie Velour. Deine Lippen so gefährlich, wie eine Sirene. Und deshalb sinke ich, doch sehe, du schaust zu vom Steg. Ich falle in deine Arme, so wie in Stacheldraht.

Sie schlief ein. Träumte von Wolkenmeeren, Fischen, Wind und der Gischt. Am späten Nachmittag griff sie zum Handy: „Mir fällt etwas runter, du hebst schon lange was auf, so ein Typ lebt seinen Traum, auf den jemand anderes baut, eine Nachricht geht unter, an die jemand einsames glaubt – Albtraum, weil jeder einsame jemand einsames braucht.“

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Bringt Poseidon dich ins Bett? Du bist bleich wie der Mond vor dem Fenster. Pass auf dich auf, denn Träume sind tief. Ich schaute mich im Spiegel an. Draußen ist es schon wieder dunkel geworden. Raindrops on my window pane, but nothing takes the pain away. Worst thing about a breakin‘ heart, one you loved ripped it apart. Er hat nicht geantwortet. Wieso hat er nicht geantwortet? Er hat nichts geschrieben.  Die Brust tut mir weh, ich kann nachts nicht mehr pennen. Sind die Geister unterm Bett vielleicht mein Team? Der Himmel färbt sich heute noch rot. Ich lass meine Gefühle dem Tod. Die Sonne ging auf und sie hatte nicht geschlafen. In warmes Licht getaucht ging sie durch die Straßen. Die Chain ist full besetzt mit Baguetts. Baggy-Jeans für die Vibes. Die Titten hängen raus so auf cozy. Top Zwei in Sachen Sexappeal. Geht durch das Viertel. Spricht arabisch, japanisch, ein bisschen spanisch fürs Geschäft. Irgendwer will irgendwas, doch ich kann ihm nicht folgen. Fragt jeden: „Trägst du Goldkette oder ist das ein Strick?“. Sie zertritt ein paar Tulpen im Park, weil sie seit ihm schöne Dinge nicht mehr mag. Lässt sich plumpsen ins Gras und heult. Mit dem Gesicht voran in den Boden gedrückt, schreit sie sich die Seele aus dem Leib. Muss Liebe immer ein bisschen weh tun? Einer von ihren Freunden sieht sie: „Was ist los? Hat er dich geschlagen?“

„Denken sich ein paar Skandale aus, nur weil es von den Fotzen keiner selber packt.“

Der Freund brachte sie nach Hause. Auf dem Weg sahen sie die Ex von ihrem Ex. „Deine Bitch hat flashbacks, wenn sie rot sieht.“

Wer stand vor ihrer Haustür?!…

„Wieso hast du nicht geantwortet?“

„Ich wusste nicht was…“

„Bringt Poseidon dich ins Bett?“, sagte sie und schubste ihn.

„Sag mir nicht, dass du mich liebst, wenn du morgen wieder gehst.“

Sie schaute auf den Boden. Er kam auf sie zu und küsste sie.

„Immer wenn du sagst du liebst mich so, wie ich bin, siehst du nicht richtig hin, denn du liebst, was ich nie war, und nach all den Jahren bist du immer noch so blind. Ich weiß nicht, was wir sind denn du liebst, was ich nie war.“, sagte sie ganz ruhig. Er wich zurück: „Wieso schreibst du mir dann?“

„Am Wochenende kommt die sadness.“

„Ich schweb wie Nebelschwaden über feuchte Straßen. Was willst du mir damit sagen?“

„Wieso bist du zu mir gekommen gestern?“, Tränen kullern über ihre Wangen.

„Ich wünscht, du wärst schwach damit ich dich halten kann.“, er kam wieder auf sie zu.

„Ich wäre gerne voller Zuversicht. Jemand, der voll Hoffnung in die Zukunft blickt. Der es schafft, all das einfach zu ertragen. Ich würd dir eigentlich gern sagen – alles wird gut.“

„Doch das kannst du nicht…“

„Liebe reicht manchmal nicht aus.“

Ästhetik des Schweigens

Wie drückt man Schweigen beim Schreiben aus? Schweigen Schreiben – reimt sich fast. Schreibe ich einfach: „Sie schweigen sich an“? Halte kurz inne, denke kurz nach, guck kurz hoch. Wie schreibe ich schweigen? Nein, nicht buchstabieren. Ich meine, wie bringe ich rüber, dass jemand nichts sagt und die Stimmung, die dadurch entsteht, dass jemand anderes wartet auf das Brechen des Schweigens. ‚Schweigen brechen‘ –  hört sich witzig an oder? Die Abstinenz von etwas (Gesprochenem) wird kaputtgemacht dadurch, dass das was fehlt, wieder da ist. Eigentlich was Positives und doch sagen wir ‚Schweigen brechen‘. Aber das ist nicht der Fall. Es ist still. Niemand sagt etwas. Jemand wartet darauf, dass der andere etwas sagt, weil der jemand schon alles zehn Mal gesagt hat, was er sagen wollte – und einfach keine Wörter mehr hat…

 

Ist schweigen eine Leerstelle für potenziell Gesagtes? Also müsste ich beim Schreiben einfach einige Zeilen, vielleicht eine halbe Seite freilassen und that’s it?

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Weiß dann jeder was gemeint ist? Wahrscheinlich nicht. Wie beschreibe ich die Atmosphäre, die entsteht, wenn bei jeder verstrichenen Sekunde im Schweigen die Hoffnung auf das lang ersehnte Wort schwindet und der Schmerz in der Brust wächst? Kennst du dieses Gefühl? Erstaunlich, dass man Gefühle körperlich spüren kann. Wenn das Herz schmerzt, wenn du jemanden vermisst oder wenn jemand dich sitzen lässt oder dich jemand verletzt oder betrügt oder wenn du auf eine Antwort hoffst und derjenige schweigt. Kennst du das Gefühl? Den Schmerz in der Brust? Ach, da läuft mir doch eine kleine Träne über die Wange. Ganz schön belastend und ganz schön viele Wörter, obwohl es doch still ist. Schweigen ist ein Wort, was ihre Abwesenheit beschreiben, nun zumindest feststellen, soll. Ohne Wörter sind wir nichts.

Immer noch sitzen meine fiktiven Protagonisten nebeneinander (nicht gegenüber das wäre zu schmerzhaft) und schweigen sich an.

„Sag doch was.“, sagte sie schließlich. Sie wartete tatsächlich die ganze Zeit, nahm ihren ganzen Mut und ihre ganze Kraft zusammen und traute sich. Er guckte vom Boden hoch. „Ich weiß nicht was ich sagen soll.“

„Du weißt nie was du sagen sollst.“

„Was soll ich denn sagen?“

„Was du fühlst.“

„Ich fühle nichts.“

„Was machst du dann noch hier?“

Er schaute zum Boden: „Ich sitze hier… mit dir.“

Sie schnaubte: „Fein. Du kannst ja hier weiter sitzen bleiben, aber mir reicht das nicht. Ich gehe jetzt.“

„Warum? Es ist doch schön hier. Es gefällt mir. Schweigen kann doch sehr ästhetisch sein.“

Sie stand, ohne ein Wort zu sagen auf. „Was du gehst jetzt einfach so?“

„Einfach so?“…

 

 

Vor zwei Stunden trafen sie sich auf einem Parkplatz, setzten sich auf den Boden und schauten der Sonne beim Untergehen zu. „Wie geht es dir?“, fragte sie.

„Ich will nicht darüber reden.“

„Oh, sorry… ich hab dich vermisst.“

Schweigen.

„Weißt du früher sind wir immer in den Park gefahren und saßen da, haben die Leute beobachtet… naja sie ausgelacht, dachten wir wären was Besseres.

Schweigen.

„Weißt du noch?“

Er schaute kurz rüber.

„Da haben wir uns zum ersten Mal geküsst.“

Schweigen.

„Oh, am Wochenende war ich in nem Club. Die Musik war fantastisch. Es hätte dir gefallen.“

Schweigen.

„Euh da war so ein Typ, der wollte mich ernsthaft anbaggern.“, sie schaute zu ihm rüber, „meine Freundin musste mir helfen.“

Schweigen.

„Zum Glück war sie da.“

Schweigen.

„Stört dich das nicht?“

„Was?“, er regte sich nicht.

„Das andere Typen mich anbaggern?“

„Nein.“

Schweigen.

„Deine Freundin war doch da.“

„Genau sie war ja da.“, mit jedem Wort wurde sie leiser. Es trat ein langes Schweigen ein. So ging das dann zwei Stunden weiter. Es war mittlerweile stockfinster.

„Geh noch nicht.“, sagte er.

„Wieso sollte ich nicht gehen? Du redest nicht mit mir. Zeig mir, dass ich dir wichtig bin.“

„Du bist mir wichtig, du weißt das.“

„Nein tu ich nicht.“, sie ging und er blieb sitzen.

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Ist es still da, wo du bist? Wie fühlt sich das an? Wolltest du schon mal was sagen und hast es dann doch nicht getan? Tu es. Sag es. Ja im Ernst. Du hast keine Ahnung was Wörter in deinem Gegenüber auslösen können. Du hast keine Ahnung wie schmerzhaft Schweigen sein kann.

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