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Krimi Zwischendurch – Kapitel 2: Der erste Kontakt

Nach einer erfolglosen Kiosiktour erreichte Valerie schließlich die WG.

„Was hast du rausgefunden Val‘?“, fragte Olimpia.

„Alle Kölschpreise, weil bei der Hitze nur das Wunderwasser hilft, dass ich im Dienst bin hat die eher weniger beschäftigt. Was ich aber weiß ist, dass Maria auf jeden Fall die Bib verlassen hat – sie wurde gesehen.“, von ihrem Gesicht tropften Schweißperlen.

Olimpia wandte sich wieder dem Mitbewohner zu: „Also, wenn sie anrufen kommt ‚diese Nummer ist nicht verfügbar‘?“

„Richtig.“, er trank ein Schluck Wasser, man sah, dass er nervös war – er zitterte am ganzen Körper.

„Gut wir werden uns melden, wenn wir was raus gefunden haben.“, Olimpias Ausdruck gab ihm keine Hoffnung, sie dachte irgendwie nicht mehr, dass Maria Fischer noch lebte.

Nach einem harten, heißen, erfolglosen Arbeitstag gingen die Kollegen was trinken, schließlich war Freitag. Kommissarin Wolf war die letzte die eintraf. Vor der Bar stand ein junger Mann und zündete sich gerade eine Zigarette an, er hatte sein Basecap Falschrum an und war großflächig tätowiert. „Willst du auch eine?“, fragte er sie.

„Ist schon lange her.“, Olimpia lief unbeholfen vor der Treppe zur Bar auf und ab.

„Ja warum also nicht die Erinnerungen auffrischen?“, er reichte ihr eine Zigarette. – Sie nahm an. Sie atmete den Rauch aus und schloss für einen Augenblick die Augen.

„Du hattest einen scheiß Tag und die letzte Nacht ist auch mega scheiße gewesen, nicht wahr?“

„Woher weißt du das?“

„Ich weiß es nicht, ich habe es gesehen.“, er lächelte sie an.

„Sehe ich so schlimm aus?“

„Nein darum geht es nicht, du siehst klasse aus, bloß wenn eine erwachsene Frau eine Kippe von einem 20-jährigen annimmt, wenn sie eigentlich nicht raucht und Freitagabend in eine Bar geht und es aussieht als würde sie zur Arbeit gehen und nicht um Spaß zu haben, dann kann ich eins und eins zusammenzählen.“

„Wenn ich in deinem Alter auch schon so klug gewesen wäre.“

„Hättest du weniger Dummheiten gemacht?“, er drückte die Zigarette mit dem Schuh aus.

„Nicht unbedingt. Nur vielleicht andere.“

„Naja damit dein Tag vielleicht doch noch besser wird.“, er reicht ihr eine Origamiblume. Sie bedankte sich und ging rein.

„Wo warst du so lange?“, rief Gabriel durch die ganze Bar als er Limpa durch die Tür kommen sieht.

„Ich hol ja schon die nächste Runde.“, sie warf ihm ein Kussmund zu.

An der Bar angekommen, fragte der Typ von draußen sie: „Was darf‘s sein, geehrte Dame?“

Sie lachte: „So schnell sieht man sich wieder. Fünf Kölsch bitte und ein Rotwein.“

„Für dich lieber ein Likör. Ich habe Kirsche da. Den gebe ich nicht allen raus.“

„Ja immer her damit.“, sie entspannte sich endlich.

„Ich bring’s euch zum Tisch.“, er zwinkerte ihr aufmunternd zu.

Olimpia ging zum Tisch, wo die anderen schon lauthals diskutierten warum Limpa diesmal zu spät war: Gabriel, Valerie, Karsten zuständig für die Mordkommission, Beate – Kommissarin aus Mühlheim, sie wurde erst vor kurzem nach Deutz versetzt und Thomas ein Polizist aus dem Revier. Olimpia fügte sich Lückenlos in die Runde ein und es ging endlich mal ein Abend nicht um die Arbeit, die allen Kollegen jeden Tag Nerven, Kraft und Tränen kosteten. Es wurde immer später aber draußen wurde es nicht ein bisschen kühler. Die Runde wurde immer heiterer und lauter. Die Jungs und Beate gingen raus eine rauchen. Valerie blieb am Tisch sitzen, die arme hatte etwas zu viel getrunken und hing nur noch halb vom Stuhl runter und drohte jeden Moment zu fallen, aber noch schlief sie und sabberte auf Limpas Handtasche. Limpa selbst ging wieder zur Bar, wollte mit dem Barkeeper reden und sich was zu trinken holen, da entdeckte sie einige Hocker weiter einen Mann, ungefähr in ihrem Alter, alleine am Tresen sitzen, er trank Brandy, hatte die Haare streng nach hinten gekämmt und hatte ein dunkles blau-graues Hemd an, er entdeckte Limpa, die ihn schon seit einer Minute anstarrte, normalerweise würde sie sich unter Kontrolle haben aber die Kombination, aus Alkohol, fünf Monate ohne Sex und seinem verboten gutem Aussehen, brach ihre Disziplin – sich nicht so aufzuführen wie ein verzweifeltes 15-jähriges Mädchen. Er lächelte sie an und prostete ihr zu, das brachte Limpa dann endlich dazu sich wegzudrehen.

„Erwischt.“, sagte der Barkeeper, lachte und polierte weiter ein Glas.

„Ein Schnaps bitte.“, Limpa wurde rot.

Er schenkte ihr ein: „Nikolas. Und du?“

„Olimpia. Wenn es an das harte Zeug geht wirst du persönlicher?“, sie versuchte ihr Gesicht hinter ihrer Hand zu verstecken.

„Gefällt er dir?“, er deutete mit dem Kinn zu ihm.

„Beantworten wir Fragen also ab jetzt immer mit Gegenfragen?“

„Soll ich ihm ein Drink von dir spendieren? Er schaut die ganze Zeit rüber.“

„Wieso spendierst du mir nicht mal was aufs Haus Nikolas?“

„Ich hätte ja echt nicht erwartet, dass du so schüchtern sein kannst.“

„Hattest du schon immer so eine große Nase?“, sie versuchte danach zu greifen.

„Woh was denkt wohl jetzt dein heißer Fremder? – Das du kleine Jungs anfasst.“

Der Fremde winkte Nikolas zu sich rüber, der hämisch zu Limpa herüberschaute bevor er ging. Nikolas schenkte ihm nochmal nach, sie sprachen kurz und schauten ab und zu zu Limpa rüber. Er kam schließlich breit grinsend wieder: „Alle deine Drinks gehen auf ihn, soll ich dir ausrichten.“

„Was? Aber …“, Limpa lächelte und schämte sich gleichzeitig.

„Er sagt, weil du die einzige bist, die es Wert ist.“

„Hat er nicht gesagt!“

„Oh doch hat er.“, Nikolas widmete sich wieder den Gläsern. Limpa saß kurz einfach nur so da.

„Aber du hast doch heute schon noch vor dahin zu gehen?“, Nikolas stellte ihr einen Kaffee hin.

„Das habe ich jetzt gebraucht. Danke.“, sie roch kräftig daran und trank ihn wenigen Schlücken aus. Sie wurde etwas klarer im Kopf, fasste einen Entschluss, stand auf und ging endlich zum Fremden rüber.

„Große Worte von jemanden der mich gar nicht kennt.“, sie setzte sich auf den Hocker neben ihn.

„Habe ich etwa nicht recht?“, seine Augen sind eisblau und schauen direkt durch Limpa durch.

„Wie heißen sie?“, fragte sie.

„Adam.“, sie stießen mit ihren Gläsern an.

„So wie in Adam und Eva?“

„Wenn sie Eva heißen?!“

„Sie können mich gerne Eva nennen. Wenn sie meinen echten Namen erfahren wollen will ich erst noch was über sie wissen.“

„So geheimnisvoll Eva. Alles was sie wollen.“

„Wieso sitzt ein so gutaussehender Mann, wie sie, ganz alleine in einer blöden Bar in Köln?“

„Wenn sie doch hier sind kann die Bar gar nicht blöd sein. Und jetzt bin ich doch gar nicht mehr alleine.“

Sie lachte: „Sehr gut. Sie gefallen mir.“

„Das freut mich zu hören. Sie mir auch. Wollen sie noch was trinken?“, er deutete auf ihr leeres Glas.

„Liebend gern…“, als sie weiter sprechen wollte kam Gabriel von hinten umarmte sie, gab ihr ein Kuss auf die Wange und verabschiedete sich, „Entschuldigen sie bitte meinen Kollegen Gabriel. Wenn er trinkt kann er sehr zutraulich werden.“

„Es gibt nichts wofür sie sich entschuldigen müssten. Kollege sagten sie? Lassen sie mich raten. Polizei?“

„Woher wissen sie das?“

„Sowas sieht man direkt Eva, das ist keine Kunst. Und außerdem ist das die nächste Bar zum Revier.“

Nach dem die Bar schloss redeten die beiden noch vor der Tür weiter. Limpa fand heraus das Adam freier Künstler war und er außerhalb von Köln sein Studio hatte, wo er arbeitete und wohnte. Sie redeten über alles was ihnen in den Sinn kam und verstanden sich, wie zwei verlorene Seelen die eigentlich eine waren. Die Sonne ging auf, es wurde immer wärmer, die Straße wurde immer befahrener, der Kiosk an der Ecke öffnete.

„Wollen wir uns Frühstück holen?“, Limpa zeigte auf den Kiosk.

„In so einem Laden?“

„Glauben sie mir.“, sie grinste, nahm seine Hand und schleppte ihn über die Straße.

Nach einem Brötchen und zwei Kaffee verabschiedeten Adam und Limpa sich, aber nicht für lang: Adam hatte am Sonntag eine Vernissage und lud sie ein.

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Krimi Zwischendurch – Kapitel 1: Das erste Mal

 

Sie schaute ihrem Killer direkt in die, schon lange, toten Augen. Er wischte das Messer an einem Stofftaschentuch ab, während sein Opfer auf dem Boden verblutete. Er war aufgeregt. Es war sein erster Mord. Und er spürte, dass sein Durst gestillt wurde. Er grinste unbeholfen, wer hätte gedacht, dass so ein simpler, stumpfer Akt der Gewalt solche Gefühle auslösen würde. Er trug die Leiche zum Auto und fuhr tief in den Wald zum Fluss und machte am Ufer ein Feuer und verbrannte alle Beweise, sowie die Leiche. Das Feuer hypnotisierte ihn buchstäblich. Er war vollkommen im Rausch des Todes. Das Feuer wurde immer größer. Seine Euphorie war grenzenlos. Er wurde sofort süchtig, je mehr er an seine Tat dachte: „Das hat mir immer zu meinem Glück gefehlt.“

Er lächelte und suhlte sich noch eine ganze Weile im grellen Licht des Feuers. Die noch heiße Glut schob er im Morgengrauen, mit bloßen Händen ins Wasser, wusch Gesicht und Hände, fuhr nach Hause und legte sich schlafen.

Der Morgen von Kommissarin Olimpia Wolf ging los um 5.00 Uhr in der Früh mit einer kalten Dusche. Die Nacht war kurz und schwül, erdrückend, beinahe tropisch, wenn man die Mücken bedachte. Nach dem Frühstück begab sich Olimpia zur Arbeit.

„Du schon hier? Konntest bei der Hitze wohl auch nicht schlafen? Gibt’s was Neues?“

„Es sind jetzt schon 26 Grad und sonst eine Neue Vermisste.“, antwortete Valerie.

„Zeig mal her!“, sagte Olimpia und streckte die Hand aus.

„Hier“, die Kollegin gab ihr die Mappe, „Vermisste Maria Fischer, Alter 25, Studentin, WG-Mitbewohner erwartete sie zuhause, sie kam aber nie an.“

„Und sie kann nicht noch spontan in den Club und auf n‘ One-Night-Stand geblieben sein?“, Olimpia wollte offensichtlich witzig sein.

Valerie zog eine Braue hoch: „Nein sie schrieb ihm, dass sie die Bib verlässt und sich auf den Weg nach Hause macht.“

„Bib?“, Fragezeichen in Olimpias Gesicht.

„Bibliothek.“, Valerie grinste.

„Studenten.“, sie setzte sich an ihren Schreibtisch.

„Du bist einfach nicht mehr up-to-date. Na jedenfalls war sie schon auf dem Weg nach Hause – kam aber nie an. Für mich bitte auch ein Kaffee.“

„Ok das ist doch schon mal interessant.“

Valerie nahm den Kaffee dankend an und beobachtete Limpa (wie sie liebevoll von den älteren Polizisten genannt wurde) ganz unauffällig von der Seite, Valerie war noch nicht lange im Revier und fand es immer noch faszinierend, wenn Limpa’s Denkprozess startete. Das war die Ruhe vor dem Sturm, wenn die erste Spur schon zum Greifen nah war, wenn noch alles offen war, keine Verdächtigen, keine Leiche im Keller, also im Leichenschauhaus, alle Köpfe noch frisch und keiner ist verzweifelt. Valerie wartete den richtigen Moment ab um zu Fragen: „Was sagen sie Frau Kommissarin?“

„Das ist unser neuer Fall Valerie.“

„Was soll ich tun?“, sie klopfte mit den Fingern auf den Tisch.

„Geh zur Bibliothek, frag die Leute, sieh dich um, frag die Kioskbesitzer auf dem Weg, geh die Strecke bis zur WG ab – vielleicht findest du was. Wir treffen uns da.“

„Und was machst du bis dahin?“, fragte Olimpias Partner, Gabriel Carnot, beim Reinkommen.

„Ganz schön spät dran Gabi. Ich werde schon mal zur WG gehen und ihren Mitbewohner befragen.“

„Ich mach mich mal auf den Weg.“, Valerie schloss die Tür hinter sich.

„Haben wir eine Leiche?“, fragte Gabriel beim Kaffee einschütten.

„Noch nicht.“

„Was macht dich so sicher?“, er nahm einen Schluck.

„Hab so ein schlechtes Gefühl bei der Sache, wenn ich nicht schlafen kann, gibt’s morgens meistens keine guten Neuigkeiten.“

„Du solltest ein Buch über deinen sechsten Sinn schreiben und das dann verfilmen lassen – doppelt Kohle verstehste‘?“

„Mach ruhig Witze Gabi aber ich sag nur letztes Jahr Weihnachten – ich hab dir gesagt geh nicht mit den Jungs von der SEK aber du wolltest ja persönlich die Bösen fangen.“

„Wieso? Ist doch alles gut gegangen: du hast dir zum ersten Mal in deinem Leben Sorgen gemacht, wir waren was trinken und ich war für zwei Monate der Held mit der Schusswunde.“

„Gabi bitte an Kasse drei. Gabi bitte an Kasse drei. Der Papierkram wartet. Ich muss los.“, sie packte ihre Sachen zusammen und ging.

In der Zwischenzeit fuhr Valerie mit der Bahn zur Uni-Bücherei. Für ihren Geschmack waren zu viele Studenten draußen zum Bier trinken. Sie fühlte sich unmittelbar in ihre Studienzeit zurückversetzt. – Und das gab ihr kein gutes Gefühl. Für Valerie war die Studienzeit nicht so bereichernd und Lebensverändernd, obwohl Lebensverändernd vielleicht schon aber nicht so schön wie alle sagen. Mittlerweile waren es 30 Grad heiß und es war Freitag, somit konnte man es den Studenten auch nicht wirklich übelnehmen, wenn sie sich mal eine Pause am Vormittag gestatteten. Valeries Vermutungen wurden bestätigt – niemand der Mitarbeiter in der Bib hatte etwas gesehen. Sie blieb kurz im Eingang stehen und versetzte sich in das vermutliche Opfer: ‚Ich ging also aus der Bib, habe Bescheid gesagt, dass ich nach Hause komme und dann… dann bin ich rechts abgebogen, dann zweimal links, ließ mir die Haare rot färben, kaufte mir ein Kleid und verschwand mit meiner neuen Identität nach Panama. – klingt das nicht aufregend? Warum ist die Realität nie so aufregend? Valerie schaute sich noch mal draußen um, ihr fiel ein gutaussehender junger Student auf, in Jogginghose und T-Shirt, die Haare in einer großen Locke zur Seite gelegt, in einer Hand ein Bier und in der anderen das Smartphone.

„Guten Morgen, ich bin Valerie Topika von der Kripo Köln. Maria Fischer wird seit gestern Abend vermisst. Kennst du vielleicht jemanden der gestern um neun hier war?“

„Hallo ich bin Ben von der Uni Köln. Ich war gestern hier, mit n‘ paar Kumpels. Ich habe Maria gestern noch gesehen. Vermisst sagten sie?“, er schaute vermeintlich besorgt.

„Ja. Was ein Zufall! Was kannst du mir über gestern erzählen?“, Valerie war angeekelt von seinem geheuchelten Interesse.

„Ich würde sagen es war Schicksal Officer Kommissarin.“, er zwinkerte ihr zu.

„Ich darf doch wohl sehr bitten!“, sie holte ihr Notizbuch raus, „Also Ben von der Uni Köln, was kannst du mir zu Maria Fischer sagen?“

„Wie ich gesagt habe, gestern war ich hier mit n‘ paar Jungs und sie kam so gegen neun aus der Bib und ging in Richtung WG. Ich kenne sie vom Lernen, sie hat mir einmal bei einer Klausur geholfen.“, kurze Pause, „Ich habe bestanden, falls sie das interessiert.“

„Ist dir sonst noch was aufgefallen? Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein!“

„Was schreiben sie da eigentlich die ganze Zeit auf?“, er rückte näher und rülpste, „Schulz“, kurzes Lachen, „Sorry, kommt nicht wieder vor.“

„Ekelhaft.“, sagte sie angewidert, „Weißt du noch was oder nicht?“

„Wenn sie mir ihre Nummer geben, kann ich anrufen falls mir noch was einfällt.“, er zwinkerte ihr zu.

„Hier ist die Nummer des Reviers.“, sie gab ihm eine Visitenkarte, „Du sagst dann für Valerie Topika. Kannst du dir das merken?“, sagte sie Streng und schaute ihn direkt an.

„Ja Ma‘am.“, er kratze sich am Kopf.

Sie machte auf dem Absatz kehrt und machte sich auf den Weg zur WG der Vermissten.

Außerhalb der Stadt wurde er wach. Er öffnete die Augen, die Sonne blendete ihn, er blinzelte und erinnerte sich an jede Sekunde der letzten Nacht. Es war besser als jeder Sex. Sein Körper kribbelte immer noch beim Gedanken an sein hübsches Opfer, wie sie ihn angestarrt hatte bei ihrem letzten Atemzug. Er würde schon bald wieder auf die Jagd gehen. Er wollte sich immer so fühlen wie jetzt – unbesiegbar.

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Ein Goldschmied

Ein Goldschmied, in einer kleinen Stadt, vor langer Zeit, schmiedete ein Schmuckstück. Es war ein sonniger Tag und die Werkstatt im Keller, wo durch die bunten Fenster das Sonnenlicht direkt auf das Schmuckstück traf und so erstrahlte die dunkle, vollgestopfte Werkstatt, sie leuchtete und funkelte, so als würde die Sonne tief stehen und durch einen kahlen Wald scheinen. Der Goldschmied betrachtete sein fertiges Werk im Licht und war zufrieden, denn dieses Schmuckstück hat ihm am meisten Kummer bereitet aber es hat auch großen Spaß gemacht es herzustellen.
Eigentlich war das Schmuckstück ein Auftrag von einem neuen Kunden, der gerade hergezogen war und seiner Frau zum Hochzeitstag eine Überraschung machen wollte. Er beauftragte den Schmied einen Anhänger für eine Kette zu machen und der Anhänger sollte besonders sein, nichts was es schon vorher gab, es sollte das Schönste werden was der Schmied je gemacht hatte. – So der Auftrag vom Kunden, – der die Kosten nicht scheute. Und der Schmied nahm den Auftrag wörtlich und mühte sich Tag und Nacht seit einer Woche ab, als der Kunde persönlich kam um den Auftrag zu stornieren. Der Goldschmied war natürlich empört – so viel Arbeit umsonst, er fragte nach dem Grund für den Rückzug des Kundens. Der antwortete, dass seine Frau verstorben ist. Der Schmied war sehr traurig über den Verlust des Mannes und konnte verstehen, dass er das Schmuckstück nicht mehr wollte. Nach dieser Neuigkeit brauchte der Goldschmied etwas Zeit, aber er gab das Schmuckstück nicht auf, sondern wollte es unbedingt fertigmachen um wenigstens jemand anderem eine kleine Freude damit zu bereiten. Der Goldschmied platzierte den Anhänger mit einer wunderschönen Kette auf einem schwarzen Samtständer im Schaufenster.
Die Jahre vergingen und niemand kaufte den Anhänger, aber nicht, weil er nicht schön war, nein ganz im Gegenteil die Leute waren ganz angetan von dem Teil. Man wollte den Anhänger sogar im Museum ausstellen bei einem Wettbewerb, aber der Schmied wollte das nicht. Der Grund warum niemand den Anhänger kaufen wollte, war auch nicht der Preis, der Schmied hat den schon vor langer Zeit weit unter dem Warenwert gesetzt. – Der Grund war, in dieser kleinen Stadt wussten alle unter welchen Umständen der Anhänger entstanden ist, und niemand traute sich etwas Fremdes oder besser gesagt, etwas für jemand anderen bestimmtes zu kaufen, sie meinten alle, sie würden sich fühlen als würden sie einen Raub begehen. Der Schmied konnte nicht verstehen, dass man so etwas offensichtlich Schönes wegen einem so abergläubigen Grund nicht kaufen wollte.
Immer mehr Zeit verging und die Geschichte wurde vergessen. Der Goldschmied war nun alt und grau geworden und würde seinen Laden bald schließen und in den Ruhestand gehen. An einem gewöhnlichen Herbsttag, in der Gegenwart, kam ein junges Paar in den Laden und man sah direkt, dass sie nicht von hier waren – alles wollten sie fotografieren und alles wollten sie haben. Dann entdeckte die junge Frau den Anhänger und war begeistert. Der Schmied und die Frau kamen ins Gespräch: „Was verschlägt so ein schönes und junges Pärchen wie euch in unser altes, verschlafenes Städtchen?“
„Wir sind frisch hergezogen. Mein Vater ist kürzlich gestorben und hat uns sein altes Haus vererbt, wo ich geboren wurde. Er hat es all die Jahre nicht verkauft, was ich nicht verstehe.“
„Oh kannte ich ihre Eltern?“
„Ich glaube nicht. Mein Vater ist ziemlich schnell mit mir hier weggezogen und meine Mutter ist schon bei der Geburt gestorben.“
„Gestorben?“, der Schmied wurde bleich und richtete die Augen auf den Anhänger in ihrer Hand.
„Ja. Wieso? Kannten sie meine Mutter doch?“, er stolperte nach hinten, „Geht es ihnen nicht gut?“
„Entschuldigung, wie alt sind sie?“
Sie schaute verwirrt: „Einundzwanzig.“
„Sie sind es wirklich.“
„Was reden sie da?“
„Sie haben im Sommer Geburtstag nicht wahr?“
„Ja aber woher wissen sie das?“
„Dritter Juli.“
„Woher zum Teufel wissen sie das?“
Er starrte auf den Anhänger.
„Antworten sie! Kannten sie meine Mutter?“
„Nein aber ihren Vater.“, mittlerweile hatte sich der Goldschmied gesetzt.
„Und woher?“
„Den Anhänger den sie in den Händen halten hat ihr Vater für ihre Mutter anfertigen lassen.“, er ließ ihr Zeit um den Satz zu verstehen, sie blickte ihn mit großen, glasigen Augen an, „Bevor ich fertig war ist sie leider gestorben und ihr seid weggezogen. Ich habe das Stück aber noch zu ende gemacht, es ist wirklich das Schönste was ich je gemacht habe, bloß wollte es niemand kaufen. Ich dachte schon, dass es verflucht war, doch es musste genau so kommen, dass sie den Anhänger bekommen.“
Es war schon dunkel aber sie saßen immer noch in der Werkstatt unten und redeten. Keiner konnte glauben was gerade passiert ist und keiner glaubte an einen Zufall. Blätter flogen über die Straße, ein Ast schlug gegen das Fenster, der Wind heulte, es blitze und fing an zu regnen.

Meine Tochter

 

Meine Tochter kam ins Arbeitszimmer noch im Pyjama und verheulten Augen und in einem Arm ihren Teddybären. Ich sprang auf und führte sie zum Sofa. Ich fragte sie andauernd was los sei doch sie brachte kein Wort über die Lippen, weinte nur. So fing ich an wilde Vermutungen aufzustellen: „Ist es wegen einem Jungen? Hast du dich mit deiner Freundin gestritten? – wegen einem Jungen? Oder hast du dich mit Mama gestritten? Oder wirst du gemobbt im Cyberspace? – Ich hoffe nicht. Ist vielleicht jemand – ich weiß nicht – gestorben? Oder hatte jemand einen Unfall? Egal was es ist du kannst es mir sagen. Ist irgendwas mit dem Hund?“

Sie schüttelte nur den Kopf.

„Ich weiß es doch auch nicht. Was soll ich machen? Willst du was trinken? Wasser? Oder was stärkeres?“

Sie nickte – ich brachte ihr beides und wartete bis sie sich beruhigt hatte. Es war schlimm anzusehen, seine Tochter so zu sehen ist schrecklich und schlimmer ist, dass ich nicht weiß warum. Als die Tränen getrocknet sind und sie ganz ruhig so dasaß, wagte ich schließlich das Schweigen zu brechen und fragte sie was der Grund für ihren Kummer sei. Sie aber schnaubte, legte sich hin und drehte mir den Rücken zu.

„Ich glaube es nicht! Du kommst heulend zu mir und willst nicht reden und jetzt legst du dich wieder hin – um was? – Zu schlafen? – Ich glaube es nicht!“

Sie reagierte nicht. Ich ging in die Küche, wo meine Frau Kaffee trank und die Zeitung las. Ich fragte sie ob, sie was wusste. Aber sie gab mir keine Antwort, sondern lief ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei ins Arbeitszimmer. Sie redete leise zu ihr aber ich hörte keine Antwort.

„Ich glaube sie schläft schon.“, sagte Babett beim Reinkommen.

„Hast du ne Ahnung was sie hat?“

„Nein, ich weiß so viel wie du.“, sie trank ihren Kaffee zu ende.

„Vermutest du was?“

„Nein.“, sie schüttelte den Kopf.

 

Und während meine Eltern diskutierten was mein Problem sein könnte schlief ich gar nicht, sondern lauschte ihren Ideen. Meine Eltern sind tolle Menschen. Sie haben alles richtiggemacht, bloß ich habe alles falsch gemacht, ich habe all die falschen Entscheidungen getroffen.

 

„Wie konnte uns denn in letzter Zeit alles entgangen sein?“, sagte ich leise eher zu mir selbst als zu irgendjemand anderen.

„Vielleicht ist sie eine gute Schauspielerin?“, sie zuckte mit den Schultern.

„Kann sein. Und was ist wenn es die ganze Zeit vor unseren Augen war und wir nichts gesehen haben und es sich immer mehr angesammelt hat und heute ist das Fass einfach übergelaufen?“

Papa könnte echt Hobbypsychologe werden.

„Und was wenn sie einfach eine schlechte Nachricht erhalten hat und früher ist nichts gewesen?“

„Vielleicht.“, ich setzte mich noch mal und stütze den Kopf mit einer Hand.

„Würde ich wirklich nicht merken, wenn meine Tochter traurig ist?“

„Das werden wir sicher bald von ihr erfahren.“

Nach dem Kaffee schlich ich mich ins Arbeitszimmer zurück und erledigte meine Arbeit weiter. Ich war seit zehn Jahren selbstständig mit meinem eigenen Unternehmen. Wir stellen Handwerker zum Hausbau zur Verfügung. Das Geschäft läuft gut. Den ganzen Vormittag lag sie da auf dem Sofa ohne sich zu bewegen, ich arbeitete weiter, ging mit dem Hund raus und machte mir noch einen Kaffee. Schließlich beschloss ich, dass sie genug Trübsal geblasen hat: „Süße, meine Kleine wach auf! Komm steh auf meine Liebe. Geh was Frühstücken! Komm! Oder soll ich dir was bringen? Nein? Auch gut. Komm dann geh in die Küche und iss was. Ich sag’s dir nach einem Frühstück sieht die Welt schon ganz anders aus. Du hast heute auch noch nichts gegessen. Mama ist arbeiten und kommt erst spät wieder also haben wir das Haus für uns.“

Was soll diese Psychonummer? Was will er erreichen? Dass ich meine Probleme weg esse? Vielleicht sollte ich mit der Sprache rausrücken, dann sind alle ruhiger. Ich saß in der Küche und aß, als er plötzlich quiekte: „Du bist aber nicht schwanger oder?“, so hysterisch habe ich ihn noch nie erlebt. „Natürlich nicht.“, ich musste mir ein Lächeln verkneifen.

„Oh sie redet endlich, ganze zwei Wörter.“

„Du machst dich also lustig über mich?“

„Nein, nein keineswegs.“, ich lächelte und versuchte durch sie hindurch zu blicken und auf telepathische Weise zu verstehen was los ist.

 

Er stand schon in der Küche und beobachte mich. Mein Papa war fünfzig und hatte auf dem Kopf schon eine kahle Stelle, er trug eine schlichte Brille und zum Arbeiten immer ein Hemd auch wenn er zuhause war. Er mochte es zuhause zu arbeiten, so konnten wir nämlich einen Hund haben, er konnte immer mit ihm Gassi gehen und so konnte er mittags für uns kochen und so konnte er immer für uns da sein und Mama konnte auf Geschäftsreise gehen, wenn sie wollte – das kam aber nicht allzu oft vor. Meine Mama ist fünf Jahre jünger als Papa und arbeitet als Journalistin bei einer Zeitung. Sie liebt ihren Job und macht ihn wie ich finde wunderbar oder wie ihr Chef immer sagt: „Ausgezeichnet, Frau Schubert, ausgezeichnet!“

Meine Eltern sind erfolgreich in ihrem Job, haben ein Haus, ein Hund, zwei Autos und eine Tochter – die letztes Jahr ihren Schulabschluss gemacht hat und dachte sie könnte so erfolgreich wie ihre Eltern werden und versuchte sich als Eventmanagerin – mit dem Ziel später auch mal selbstständig zu werden. Es passte zu mir, zu meinen Fähigkeiten und zu meinem Charakter – dachte ich. Meine Eltern waren total stolz bei jedem bisschen Verantwortung, die ich bekommen hatte und mit der ich prima umzugehen wusste. Ich reiste zwischen Deutschland, Belgien, Luxemburg und der Schweiz hin und her und half bei der Organisation von Partys, Firmentreffen, Ausstellungen, Blogger-Events, Festivals, Messen, Galas, Preisverleihungen und Privatpartys von Leuten mit zu viel Geld. Theoretisch würde ich in anderthalb Wochen nach Barcelona fliegen auf ein Festival. In fünf Monaten würde ich meine erste Zwischenprüfung schreiben – alles könnte so schön sein. Doch irgendwas ließ mich nicht los, dass ich etwas Falsches tue. Als würde ich irgendwo anders etwas verpassen, was für mich bestimmt ist, etwas Sinnvolleres, als blöde, unwichtige, Luxuspartys zu schmeißen. Durch meine Arbeit hatte ich natürlich viel mit den Leuten zu tun die solche Partys besuchten und Gastgeber waren und je mehr du mit diesen Leuten redest, desto mehr wirst du so wie sie. Ich fühlte mich so als würde ich mich häuten und zu einem perfekt gebräunten, durchtrainierten, Lippen-aufgespritzten, Zähne-gebleachten, Extensions-tragenden, verwöhnten Abbild meiner selbst werden.

Heute morgens hätte ich eigentlich eine Vorbesprechung wegen dem Event in Barcelona haben sollten aber ich habe mich Krankgeschrieben, weil als ich in den Spiegel sah – sah ich nicht mich – ich sah jemand ganz anderen – der gar nicht so war wie ich glaubte zu sein. Und das hat mir so viel Angst gemacht, dass ich da nie wieder hinwollte und in Tränen ausbrach. Es gab eigentlich keinen Grund so heftig zu reagieren aber vielleicht war es so wie Papa gesagt hat, dass ich es bis heute nicht gewusst habe und es sich über lange Zeit angesammelt hat. Fast ein Jahr habe ich unwichtige, belanglose Arbeit gemacht. Wieso konnte ich das ohne schlechtes Gewissen tun? Weil keiner ein schlechtes Gewissen hat, alle denken sie tun was wichtiges, tolles, Sinnvolles. Wären es doch wenigstens Wohltätigkeitsveranstaltungen – aber nein letzte Woche Samstag war ich auf der jährlichen Sommerparty einer Modezeitschrift. Mit 21 Jahren habe ich nichts für die Gesellschaft geleistet – was auch schon eine Leistung ist.

 

Ich schickte Valentina eine Weile mit dem Hund raus, frische Luft wird ihr gut tun, so lange sie nicht reden will. Manchmal muss man Menschen ihren Freiraum lassen – vielleicht weiß sie selber noch nicht genau was los ist oder wie sie es uns sagen soll. Was könnte sie so fertigmachen? Sie hat eine spannende Ausbildung, die ihr Spaß macht, wie sie selber sagt, hat keine Beziehung somit keine Beziehungsprobleme, hat viele gute Freunde die wir kennen, hat ein Dach über dem Kopf und mit uns hat sie auch kein Streit. Was haben wir übersehen?

 

Raus mit dem Hund gehen – dann geht es mir bestimmt gleich viel besser. Papa – der Hobbypsychologe. Nein, natürlich meint er es nur gut und wollte mir mehr Zeit lassen um mir über alles im klarem zu werden. Ich sag ja meine Eltern sind toll – wer wäre noch so rücksichtsvoll?

Als ich wieder kam beschloss ich Papa zu berichten, dass ich mich morgens früh vor mir selber erschrocken habe und im falschen Beruf stecke und nicht weiß wie es weitergehen soll. Er war nicht schockiert oder böse, nein er nahm mich in den Arm und sagte alles würde gut gehen, er würde mich verstehen und er würde mit Mama reden und sie würden mir helfen bei allem so gut sie könnten. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn drückte mich nochmal kräftig, streichelte den Hund im Vorbeigehen und verschwand wieder in seinem Arbeitszimmer.

 

Da stand sie wieder in meinem Büro aber diesmal ganz ernst – fast verärgert.

„So einfach? Ich sage dir, dass ich nach einem Jahr meine Ausbildung schmeißen will und du bist der beste Papa der Welt und verstehst mich?“

Ich war verwirrt: „Soll ich dich lieber anschreien? Sicherlich muss ich das auch erstmal schlucken und verdauen aber ich kenne dich und weiß, dass du das Beste daraus machen wirst Schatz.“

„Aber…“

„Nichts aber Valentina.“

Sie blickt mich mit riesen großen Rehaugen an.

„Wieso sollte ich es dir noch schwerer machen?“

 

Sie – Kapitel 5

„Hallo.“

„Hi.“, sie atmete den Rauch aus. Eine Weile schwiegen sie. Er lauschte der Natur im Hintergrund und sie hörte ihm beim Atmen zu.

„Bist du im Park?“

„Woher weißt du das?“, sie war jetzt schon genervt.

„Die Vögel haben dich verraten.“

„Ich dachte, wenigstens kann ich meine Freiheit genießen.“

„Brauchtest du wieder frische Luft?“, er zwang sich zu einem Lächeln.

„So war das nicht gemeint.“, kurze Pause, „Wie geht es dir? Schon eine Schlägerei gehabt?“

„Es geht mir gut. Leider noch nicht.“

„Wann kommst du raus?“

„Mit meinem neuen Anwalt – bestimmt morgen.“

„Es tut mir leid – ja ich habe meine Eltern um Hilfe gebeten und du wirst es nicht glauben, aber sie waren froh von mir zu hören und haben ohne zu zögern geholfen – dir geholfen. Ich hoffe, du hast ihnen dafür keine Drogen verkauft.“, sie lachte kurz und bereute ihre Eltern um Hilfe gebeten zu haben.

„Doch und jetzt müssen sie mir, ihren Dealer des Vertrauens, einfach helfen.“, er lachte seit langem wieder echt – sie brachte ihn immer zum Lachen. Nur sie konnte ihn Glücklich machen.

„Also klappt wirklich alles gut oder machst du Witze?“

„Bis jetzt sieht es gut aus. Er könnte wieder Bewährung für mich rausschlagen, wenn sie nichts finden.“

„Bewährung also?“

„Ja aber nur, wenn sie nichts finden.“

„Und werden sie was finden?“

„Vielleicht.“, er schluckte, „Wahrscheinlich.“

„Was redest du dann von Bewährung, wenn es doch wahrscheinlicher ist, dass sie was finden? Bei deinen Vorstrafen.“, ein Pärchen, eine Bank weiter, drehte sich um und schaute sich vielsagend an, sie räusperte sich und streckte ihnen die Zunge raus, die Frau schaute entsetzt und der Mann lachte, sie widmete sich wieder dem Telefonat.

„Noch haben sie gar nichts gefunden.“

Sie pustete in den Hörer und wippte mit einem Bein: „Aber dich auf der Flucht schnappen ist nichts?“

„Wieso willst du wieder streiten?“, sagte er trotzig, als hätte er keine Lust sich ihre Vorwürfe an zu hören.

Sie wollte gerade wieder anfangen zu schreien, als ihr das Pärchen einfiel und sie nochmal an der Zigarette zog und leise weiterredete: „Dein Ernst? Wir reden über deine Zukunft und du fängst damit an? Irgendwann muss ich auch Dinge loswerden, die gesagt werden müssen.“

„Für mich ist das auch nicht einfach – du führst dich auf als wärst du ihm Gefängnis.“, sagte er langsam, die Worte mit Bedacht wählend.

„Bin ich aber nicht, sondern du. Ich mache mir nur Sorgen – die Frage ist nur: warum mache ich das –ich überlege eben wie es weitergehen soll – wie soll es denn deiner Meinung nach weitergehen?“

Er seufzte.

„Erzählst du mir wie jedes Mal was von Entzug und Jobs und Leben auf die Reihe kriegen? Wach auf! Dein Leben passt auf keine Reihe mehr. Es ist und bleibt Chaos. Und weißt du ich habe noch gehofft. Ich weiß eigentlich gar nicht mehr warum ich das tat.“, jetzt war ihr auch das blöde Pärchen egal und sie schrie hemmungslos in den Hörer, „Warum ich dich verteidige und mich um alles kümmere und meine Eltern um Hilfe bitte, eigentlich will ich das auch gar nicht tun – ist wahrscheinlich die Routine – und es ist mir so unangenehm – nur wegen dir. Alle meine Probleme habe ich wegen dir. Ich wollte das all die langen, schweren Jahre nicht sehen, aber jetzt sehe ich es plötzlich ganz deutlich vor mir.“ Tonnen von Schmerz fielen von ihr ab.

„Er ist wieder in der Stadt.“, sagte er ganz ruhig.

„Ja und wir haben uns geküsst.“, das Pärchen tuschelte, sie war kurz zufrieden.

„Ha – ich wusste es.“, er fuchtelte wild mit dem ausgestreckten Zeigefinger umher, „Und er macht dir keine Probleme? Verstehe. Das war so klar – so wie jedes Mal – du bist der Engel und ich der Teufel und wenn die Sonne untergeht zeigst du dein wahres Ich.“

„Was redest du da? Kalter Entzug tut dir wohl nicht gut.“

„Betrug tut mir nicht gut.“

„Mach mir keine Vorwürfe! Warst du einmal da, als es mir schlecht ging? Ja natürlich immer, aber nicht um mich zu trösten oder mir wenigstens zu zuhören, sondern nur um mir einen Joint anzudrehen und zu vögeln. Wie oft wolltest du dich ändern? – Und hast es nie getan. Und selbst, wenn er nicht gekommen wäre, stimmt alles was ich gesagt habe.“

Sie legte einfach auf und weinte eine ganze Stunde. Ja im Park, ja in der Öffentlichkeit. Das Pärchen verschwand endlich. Er war ihre große, riesige, erste Liebe und jetzt ist es endgültig aus und sie fühlte sich so schlecht, ihr Herz schmerzte, aber sie fühlte sich auch so dümmlich, dass sie so jemand wie ihn je lieben konnte und sie fühlte sich befreit, weil sie ihn endlich los ist. Und als sie sich gesammelt hatte, rief sie den Anwalt an und sagte er solle den Idioten im Knast lassen und sie rief ihre Eltern an. Sie bat für alles um Entschuldigung. Sie wollte sich versöhnen und von vorne anfangen und ihn so schnell wie möglich vergessen. Sie hatte es satt zu warten, bis er sein Leben auf die Reihe kriegt – jetzt war sie an der Reihe.

Sie will zu ende Studieren, sich wieder auf sich konzentrieren, wieder die wichtigen Dinge im Leben sehen. – Wie ihn. – Und er ist wen sie im Club geküsst hat. Sie kennen sich vom Studium, schon so viele Jahre kennen sie sich. Und ihm war er immer ein Dorn im Auge, alle wussten was los ist und haben es stillschweigend hingenommen. Und er ist schon längst fertig mit dem Studium und hat Job, Karriere und alles und trotzdem konnte er sie nie vergessen. Und er kommt immer mal wieder zurück in die Stadt, wenn die Sehnsucht zu groß ist. Dann haben sie sich immer für einen Abend gesehen und bis jetzt ist nie was passiert, weil sie immer aufgepasst hat aber jetzt war der richtige Moment. Als sie ihn im Club sah wurden ihre Augen ganz groß, sie schaute kurz ob sie auch niemand beobachtete, dann ging sie auf ihn zu und sie blickten sich schweigend an. Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war aber es war ihr auch egal und allen anderen war es auch egal – sie schienen unsichtbar – keinem schien es aufzufallen, dass sie nicht tanzten. Schließlich drückte er sie an sich und küsste sie – nur einmal, dann blickten sie sich noch mal kurz an und wussten alles vom anderen. Sie kam zu sich und rannte aus dem Club ohne ein Wort zu sagen. Sie flüchtete in den Park und erst als sie sich auf die Bank plumsen ließ, begriff sie, dass das echt gerade passiert ist.

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