An einem verregneten Donnerstagnachmittag in L.A. saßen die verschiedensten und ungewöhnlichsten Superhelden der Umgebung in einem Stuhlkreis in einer alten unbenutzten Sporthalle. Unter ihnen war unter anderen Wolverine, Flash, Hulk, Superman und Captain America – sowie Barnabas der Gefährliche und Emi Erdbeer. Die Superhelden erzählten von ihrem schweren Alltag und wie es ist die Anonymität konsequent zu wahren und nicht am Narzissmus zu zerbrechen. Alle Anwesenden waren sehr aufgeschlossen, ehrlich und nahmen die Veranstaltung ernst. Nur Emi und Barnabas (die sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannten) schwiegen die ganze Sitzung über und lauschten demütig den Erzählungen der großen Helden, verloren keinen Mucks und verkniffen sich zwischendurch ein Kichern. Nach dem unglücklichen ersten Treffen bei den ASH (anonyme Superhelden) bedienten sich unsere Hauptfiguren, wie auch alle anderen, am Keks- und Chips-Büffet. Als Barnabas schon alle Chips leer gefuttert hatte und sich gerade auch noch den letzten Keks greifen wollte, reichte es Emi endgültig und sie hielt die Zeit an.
Das ist ihre Superkraft – die Kontrolle über die Zeit. Mit Hilfe einer Armbanduhr, die in fremden Händen bloß eine Uhr ist, ohne die Emi aber machtlos ist. Mit der Uhr ist sie aber fast unbesiegbar. Sie kann (wie wir gerade gelesen haben) die Zeit anhalten, vor- und zurückspulen, in Zeitlupe oder Superspeed ablaufen lassen. Das Gute ist – sie kann nur spulen – nicht durch die Zeit reisen – das macht einen großen Unterschied, da so kein Riss im Raumzeitkontinuum entstehen kann. Ursprünglich kommt Emi vom Planeten Enero (sowie Barnabas auch), wegen einem Krieg auf Enero kamen beide mit Umwegen zur Erde. Und wurden hier beide im zweiten Weltkrieg als Kriegswaffen ausgenutzt – wie ironisch. Emi wurde von den Sowjets gefangen genommen und sollte strategisch die Zeit anhalten, damit die rote Armee vorrückten konnte, während der Feind stillstand.
Zurück in der miefigen Sporthalle entzog sie Barnabas den letzten Keks, während er als einziger im Raum in der Zeit stillstand. Triumphierend stellte sie sich hinter ihn, schubste ihn an, sodass er vorne über fiel und ließ die Zeit für ihn laufen. Barnabas fiel nach vorne, ruderte mit den Armen aber rettete sich noch in letzter Sekunde mit seiner Superkraft – Telekinese.
Barnabas kann Objekte, sich selbst und andere Personen frei bewegen, sogar fliegen lassen. Das schwerste was er mal bewegt hat, war der Mond, weil die Amis ihn im Krieg darum gebeten haben, das sollte Ebbe und Flut so verschieben, dass sie dadurch taktische Vorteile gegenüber den Nazis hatten. Ja auch Barnabas Kräfte wurden für den Krieg missbraucht, aber er tat dies freiwillig, weil er von Zuhause wusste, wie scheiße Krieg ist, und so wollte er diesen wenigstens auf der Erde aufhalten. Auf Enero war das schon zu spät – da schoss die Nihil-Gruppe eine Wasserstoffbombe auf das Optimic-Gebiet – mitten in einen aktiven Vulkan und der ganze (man muss dazu sagen kleine, mit nur zwei Ländern) Planet explodierte. Barnabas Vater, der zur Optimic-Gruppe gehörte, war während des Kriegs Spion bei den Nihilianern und konnte so einige durch seine Warnung retten. Aber nur wenige konnten fliehen – ich meine wer hat mal eben so ein Raumschiff, was schnell genug ist. Sein Vater hat es nicht geschafft sich in Sicherheit zu bringen, doch Barnabas Mutter und seine Schwester leben jetzt auf Panudu – ein malirischer Ort mit wilden Pflanzen, die alles überwuchern. Barnabas hielt es aber nicht lange an einem Ort aus, er wollte das Universum erkunden – das Universum eine gigantische Schale an unterschiedlichsten Planeten mit jeder Menge Leben.
„Was soll das?“, rief er als er wieder fest mit beiden Füßen auf dem Boden stand.
„Du hattest schon genug. Lass den anderen auch noch was übrig als Trost für diese schreckliche Sitzung.“, antwortete Emi. Woraufhin Barnabas meinte, sie müsse ja nicht hier ihre Zeit verschwenden. Was er nicht wusste war, dass Emi natürlich nicht freiwillig hier war, sondern auf Rat ihrer Therapeutin, die es für richtig hielt, ihr Kriegstrauma in Gruppensitzungen zu überwinden. Wie der Zufall (ob es wirklich Zufall war, erfahrt ihr in Episode 4) es will, war Emis Vater Präsident der Nihilianer, er war für die Bombe verantwortlich. Selbst brachte er sich und seine Liebsten in einem Raumschiff in Sicherheit und löschte einfach so einen ganzen Planeten aus – wegen ein paar Rohstoffen – klassisch. Die durch und durch pazifistische Emi hielt es mit so einem größenwahnsinnigen Vater nicht aus und rutschte direkt in die Arme(e) der Sowjets. Sie wusste, dass sie sich nur verteidigten, dennoch wollte sie mit Krieg nichts zu tun haben – zu tief war die Narbe vom dreijährigen Krieg, inklusive planetenzerstörerischer Bombe – so ließ sie sich nichtsdestotrotz halb freiwillig, ohne zu wissen wo sonst hin und halb gegen ihren Willen gefangen nehmen.
„Wie hast du das eigentlich vorhin gemacht?“, fragte er, als Emi fertig mit kauen des Kekses war.
„Einem Baby den Schnuller stehlen? Nichts leichter als das!“, sie drückte einen Knopf auf ihrer Uhr und alles um sie herum hörte auf zu plappern und sich zu bewegen. Emi ging, gefolgt von Barnabas überraschten Augen, zu jedem Superheld und biss in jeden ihrer Kekse rein. Barnabas seinerseits war beeindruckt, ließ die kleine Vorführung aber nicht auf sich sitzen. Er wiederum ließ alle Kekse nacheinander in seinen Mund fliegen. Emi wollte nach einem greifen, konnte aber nicht – er hatte sie mit seinen Kräften bewegungsunfähig gemacht. Sie konnte nicht sprechen, geschweige denn mit den Augen blinzeln oder auch nur schlucken – Atmen ging somit auch nicht. Er ging nun, nachdem er alles verspeist hatte, langsam auf sie zu, ganz nah trat er an sie ran, hauchte sie an und ließ mit einer eleganten Hangbewegung eine Strähne aus ihrem Gesicht fliegen. Barnabas grinste.
„Bist du komplett bescheuert?!“, sie fasste sich an den Hals und rang nach Luft, nachdem er sie wieder ließ.
Immer noch stand die Zeit still. Emi setzte sich auf den Boden und packte eine Rolle Mentos aus ihrer Jeansjacke. Ganz kokett schob sie einen nach dem anderen in ihren Mund. Sie schaute Barnabas dabei nicht an. Hatte ihn aber definitiv im Blick. Er aber setzte sich ihr direkt gegenüber – provokant wie ich ihn kenne und wie ihr ihn kennenlernen werdet. Er trug schwarze Jeans und T-Shirt mit einem rot-blauen Aufdruck, die schwarzen kinnlangen Haare trug er lässig zu einer Seite fallend. Stille. Er beobachtete Emi aufmerksam. Sie hatte lange blonde Haare und unter der erwähnten Jeansjacke, trug sie ein weißes T-Shirt mit vielen kleinen Erdbeeren eingestickt, dazu einen roten Tellerrock und Vans.
„Und jetzt?“, Barnabas brach schließlich nach ein paar Minuten das Schweigen – diese schon fast gruselige Stille. Emi schmatzte gelassen auf ihren Mentos weiter und sagte er dürfe ruhig gehen, sie hält ihn nicht ab. Chapeau, dachte sich Barnabas. Er flog bis kurz unter die Decke und war dabei ein großes Fenster der Turnhalle aufzubrechen.
„Was tust du?“, rief sie ihm zu.
„Ich verpiss mich. Hast doch selbst gesagt, ich kann gehen.“
„In dem Fall fliegen. Aber das war ja keine Aufforderung. Kannst auch bleiben.“
„War das eine Aufforderung?“
„Das war eine Einladung.“
Barnabas schmunzelte. Sie ließ ihn nicht aus den Augen, bis er wieder vor ihr gelandet war, um dann im letzten Augenblick ihr Gesicht beschämt wegzudrehen.
„Ich glaube wir sind uns sehr ähnlich.“, sagte er, mittlerweile im Schneidersitz Emi gegenüber angekommen. Sie schaut ihn an. Die Zeit steht buchstäblich still. Barnabas stibitzte sich mit Hilfe seiner Kräfte ihr letztes Mentos, sie machte keinerlei Regung, sagte lediglich: „Das glaube ich auch.“
„Wo kommst du her Emi Erdbeer?“
„Enero. Und du?“
„Ich auch.“, sagte er verblüfft.
„Was? Wie kann das sein? Du musst einer der Optimic-Gruppe sein.“
„Ja. Woher weißt du das?“
„Weil von den Nihilianern nur zwanzig überlebt haben. Und die kenne ich alle persönlich. Es ist meine Familie. Die Familie vom scheiß Präsidenten.“, Emi wusste selbst nicht, warum sie Barnabas bei ihrer ersten Begegnung schon solche Details erzählte, aber es fühlte sich so an, als würde sie ihn schon ewig kennen. Als wäre er ihr verlorenes Teil. Obwohl die beiden zwei verfeindete Länder und ein Krieg trennten.
„Ich habe auch nur überlebt, weil mein Vater zur Zeit des Krieges Spion war und uns rechtzeitig warnen konnte.“
Scheint so als würde Barnabas Emi auch vertrauen.
„Wie heißt du überhaupt und warum musst du kein scheiß Namensschild tragen?“
„Barnabas. Und heute ist nicht meine erste Sitzung.“
„Hat dein Vater es noch geschafft?“
„Nein.“, antwortete er knapp.
„Das tut mir leid. Mein Vater leider schon.“
„Warum leider?“
„Weil er Präsident ist … war, der den ganzen Planeten gesprengt hat, verdammt nochmal, auf
dem er sein Land regiert hat – in dem ich aufgewachsen bin. Und wofür? Für ein bisschen
Schöpsulin.“ (damit gewannen die Bewohner von Enero Strom)
„Das tut mir leid.“
Sie redeten noch weiter und erzählten sich von ihren Kriegserfahrungen, vom Leben in Nihil bzw. Optimic und wie sie ihre Kräfte bekommen haben. – Das erzähle ich euch ein ander‘ mal. Zur Einordnung und Brechung der traurigen Stimmung ein paar Daten: Emi und Barnabas waren beide zufällig fünfundzwanzig Jahre alt, als sie ihre Kräfte bekommen haben, zwei Jahre später explodierte Enero. Emi kam nach drei Wochen, Barnabas nach einem Jahr auf die Erde – zur Zeit des zweiten Weltkriegs. Als dieser zu Ende war, verließen beide für einige Jahre die Erde, kamen aber beide wieder zurück und lebten als verstoßene Superhelden/Kriminelle, mit doch aber einer kleinen Fanbase in L.A. – und das alles, ohne sich zu begegnen. Na gut Barnabas verließ schon noch ab und zu den Planeten, während Emi versuchte mit ihren Traumata fertig zu werden. Und ehe man sich versah, hatten wir Sommer 2018 – ihr fragt euch bestimmt, ob Emi und Barnabas jetzt nicht steinalt sein müssten. Ja natürlich sind sie das, aber man sieht es ihnen nicht an. Seitdem sie ihre Kräfte haben, sind sie nicht gealtert: Emi beherrscht die Zeit, durch einen Trick hat sie auch ihre biologische Uhr ausgetrickst und Barnabas beherrscht Telekinese so gut, dass er seine Zellen so manipulieren kann, dass sie sich so langsam erneuern, dass er fast nicht älter wird. Doch irgendwann (was noch sehr lange dauern wird) kann er diesen Trick nicht weiter ausführen. Heißt, irgendwann kann er seinen Tod nicht mehr hinauszögern – das macht ihm Angst. Er spricht aber nicht darüber, weil sein Image ja gefährlich ist.
Nun nach diesem ersten schicksalshaften Treffen, trennten sich die Wege von unseren beiden Außerirdischen nicht. Sie trafen sich öfter und redeten über Enero, über das Leben, über das Universum und seine unendlichen Weiten. Ab und zu raubten sie eine Bank aus; und ab und zu retteten sie Kinder aus brennenden Häusern; und ab und zu tanzten sie im Regen und aßen danach Pommes; und ab und zu saßen sie im Gerichtssaal und verteidigten einen unschuldigen Pechvogel; und ab und zu schrieb Emi auf worüber sie mit Barnabas sprach; und ab und zu sang Barnabas Emi etwas vor. So verging der Sommer – irgendwie rasend schnell aber irgendwie auch in Zeitlupe (Emi hatte ja immer noch ihre Uhr). Das Wetter in L.A. war angenehm heiß, Barnabas und Emi waren sorgenfrei. „Weißt du, ich frage mich oft was uns noch alles im Universum erwartet. Außer der Erde und Enero gibt es noch so viel was wir nicht wissen, nicht gesehen haben. Ich würde das so gernealles entdecken. Geht es dir auch so?“, Emi schaute Barnabas an und wartete auf seine Antwort. Sie saßen auf einer großen Mülltonne auf einem Parkplatz. Die Sonne ging gerade unter. Der Himmel verfärbte sich pink-orange-lila. Emi hatte die Zeit genau in diesem Moment angehalten, als eine Mutter samt Kinderwagen vorbeikam und das Eis des circa dreijährigen Wonneproppens, mit Sommersprossen und roten Haaren, auf den Boden fiel und er schrecklich zu heulen anfing. Barnabas guckte aufs Eis, dann zum Himmel und dann zu Emi. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, sie warf ihm gerade noch einen fragenden Blick zu, als er sie zum ersten Mal küsste.
„Wir können das zusammen machen.“, sagte er, als er sich von ihren Lippen löste.
Und so fing alles an. Sie besorgten sich auf dem intergalaktischen Schwarzmarkt ein günstiges Raumschiff und steuerten von einem Abenteuer zum nächsten. Sie besuchten fliegende Pinguine auf Widowana, sie kämpften gegen riesige, lebendige, sprechende Bäume eine Galaxie weiter und auf den Ruf von Superman retteten sie einen Planeten vor einer Alien-Heuschrecken-Invasion (man kannte sich ja aus der Selbsthilfegruppe ASH).
Als sie eine Rast einlegten, ließen sie ihr Raumschiff reparieren und gingen selbst in eine Space-Spielunke. Sie unterhielten sich mit allen möglichen komischen Gestalten und tranken klaren Space-Kaktus-Schnaps. Der Abend wurde heiterer. Barnabas tanzte mit den Ameisianern (ja Menschengroße, sprechende Ameisen, bekannt für ihren Humor und Trinkfestigkeit). Emi hing am Tresen, bestellte sich einen Tocato-Ito (schmeckt wie O-Saft) und bekam Schluckauf.
„Yikes!“, sagte der Barkeeper (das sagt man auf diesem Planeten, wenn jemand Schluckauf hat,
heißt sowas wie ‚Vergehe!‘)
„Peresto!“ (heißt ‚Möge dein Wort Erfüllung finden!‘)
„Ich habe euer Raumschiff gesehen – sieht ziemlich mitgenommen aus. Seid ihr Piraten?“
„Nein wir sind Reisende, mit der Mission die Fragen des Universums zu lösen. Aber irgendwie sind wir ein wenig von der Mission abgekommen und trinken nur noch.“
„Fragen des Universums?“, der Barkeeper zog eine Augenbraue hoch.
„Ja. Hast du dich nie gefragt was auf anderen Planeten, in anderen Galaxien los ist? Barnabas und ich waren schon auf mindestens zwanzig Planeten.“
„Wenn ihr wirklich Antworten wollt, solltet ihr zum Space-Rathaus, wo die Regierung sitzt.
Ein Beamter war letzte Woche hier und hat mir angesäuselt erzählt, was da ab geht – spannend sage ich dir.“ (diese Geschichte erzähle ich euch in einer Sonderausgabe)
„Space-Rathaus? Wo ist das?“
„Nicht weit von hier. Kennst du Magsin?“
„Nicht wirklich, nur vom Hören.“
„Magsin ist…“, er zeigte nach links, „da schau aus dem Fenster – hier. Der rote Ball da hinten.
„Ja sehe ich.“
„Darum befindet sich ein Meteoritengürtel, wenn ihr den überwunden habt, ist es zum Rathaus nicht mehr weit.“