preloder

Ästhetik des Schweigens

Wie drückt man Schweigen beim Schreiben aus? Schweigen Schreiben – reimt sich fast. Schreibe ich einfach: „Sie schweigen sich an“? Halte kurz inne, denke kurz nach, guck kurz hoch. Wie schreibe ich schweigen? Nein, nicht buchstabieren. Ich meine, wie bringe ich rüber, dass jemand nichts sagt und die Stimmung, die dadurch entsteht, dass jemand anderes wartet auf das Brechen des Schweigens. ‚Schweigen brechen‘ –  hört sich witzig an oder? Die Abstinenz von etwas (Gesprochenem) wird kaputtgemacht dadurch, dass das was fehlt, wieder da ist. Eigentlich was Positives und doch sagen wir ‚Schweigen brechen‘. Aber das ist nicht der Fall. Es ist still. Niemand sagt etwas. Jemand wartet darauf, dass der andere etwas sagt, weil der jemand schon alles zehn Mal gesagt hat, was er sagen wollte – und einfach keine Wörter mehr hat…

 

Ist schweigen eine Leerstelle für potenziell Gesagtes? Also müsste ich beim Schreiben einfach einige Zeilen, vielleicht eine halbe Seite freilassen und that’s it?

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Weiß dann jeder was gemeint ist? Wahrscheinlich nicht. Wie beschreibe ich die Atmosphäre, die entsteht, wenn bei jeder verstrichenen Sekunde im Schweigen die Hoffnung auf das lang ersehnte Wort schwindet und der Schmerz in der Brust wächst? Kennst du dieses Gefühl? Erstaunlich, dass man Gefühle körperlich spüren kann. Wenn das Herz schmerzt, wenn du jemanden vermisst oder wenn jemand dich sitzen lässt oder dich jemand verletzt oder betrügt oder wenn du auf eine Antwort hoffst und derjenige schweigt. Kennst du das Gefühl? Den Schmerz in der Brust? Ach, da läuft mir doch eine kleine Träne über die Wange. Ganz schön belastend und ganz schön viele Wörter, obwohl es doch still ist. Schweigen ist ein Wort, was ihre Abwesenheit beschreiben, nun zumindest feststellen, soll. Ohne Wörter sind wir nichts.

Immer noch sitzen meine fiktiven Protagonisten nebeneinander (nicht gegenüber das wäre zu schmerzhaft) und schweigen sich an.

„Sag doch was.“, sagte sie schließlich. Sie wartete tatsächlich die ganze Zeit, nahm ihren ganzen Mut und ihre ganze Kraft zusammen und traute sich. Er guckte vom Boden hoch. „Ich weiß nicht was ich sagen soll.“

„Du weißt nie was du sagen sollst.“

„Was soll ich denn sagen?“

„Was du fühlst.“

„Ich fühle nichts.“

„Was machst du dann noch hier?“

Er schaute zum Boden: „Ich sitze hier… mit dir.“

Sie schnaubte: „Fein. Du kannst ja hier weiter sitzen bleiben, aber mir reicht das nicht. Ich gehe jetzt.“

„Warum? Es ist doch schön hier. Es gefällt mir. Schweigen kann doch sehr ästhetisch sein.“

Sie stand, ohne ein Wort zu sagen auf. „Was du gehst jetzt einfach so?“

„Einfach so?“…

 

 

Vor zwei Stunden trafen sie sich auf einem Parkplatz, setzten sich auf den Boden und schauten der Sonne beim Untergehen zu. „Wie geht es dir?“, fragte sie.

„Ich will nicht darüber reden.“

„Oh, sorry… ich hab dich vermisst.“

Schweigen.

„Weißt du früher sind wir immer in den Park gefahren und saßen da, haben die Leute beobachtet… naja sie ausgelacht, dachten wir wären was Besseres.

Schweigen.

„Weißt du noch?“

Er schaute kurz rüber.

„Da haben wir uns zum ersten Mal geküsst.“

Schweigen.

„Oh, am Wochenende war ich in nem Club. Die Musik war fantastisch. Es hätte dir gefallen.“

Schweigen.

„Euh da war so ein Typ, der wollte mich ernsthaft anbaggern.“, sie schaute zu ihm rüber, „meine Freundin musste mir helfen.“

Schweigen.

„Zum Glück war sie da.“

Schweigen.

„Stört dich das nicht?“

„Was?“, er regte sich nicht.

„Das andere Typen mich anbaggern?“

„Nein.“

Schweigen.

„Deine Freundin war doch da.“

„Genau sie war ja da.“, mit jedem Wort wurde sie leiser. Es trat ein langes Schweigen ein. So ging das dann zwei Stunden weiter. Es war mittlerweile stockfinster.

„Geh noch nicht.“, sagte er.

„Wieso sollte ich nicht gehen? Du redest nicht mit mir. Zeig mir, dass ich dir wichtig bin.“

„Du bist mir wichtig, du weißt das.“

„Nein tu ich nicht.“, sie ging und er blieb sitzen.

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Ist es still da, wo du bist? Wie fühlt sich das an? Wolltest du schon mal was sagen und hast es dann doch nicht getan? Tu es. Sag es. Ja im Ernst. Du hast keine Ahnung was Wörter in deinem Gegenüber auslösen können. Du hast keine Ahnung wie schmerzhaft Schweigen sein kann.

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