preloder

venus und mars

Kurz nach 22:00 Uhr. Wir waren die letzten Kunden im Supermarkt. Nur mit einer Chipstüte und Eistee verließen wir den Laden. Im Auto blieben wir erstmal sitzen, so wie immer und tranken unseren Eistee und aßen unsere Chips. Die Laternen erleuchteten den Parkplatz orange. Ich liebe dieses orangefarbene Licht. Es ist so warm und trocknet nicht die Augen aus, wie dieses kalte, sterile, weiße Licht überall. Die alten gelb-orange-farbigen Lichter erzeugten eine beruhigende, gemütliche Parkplatzatmosphäre. Die letzten Mitarbeiter verließen das Geschäft. Nahe dem Eingang, bei der großen Lichtquelle, standen drei BMW 3er und drei Jugendliche mit kurzgeschorenen Haaren, in dicken schwarzen Bomberjacken von Alpha Industries, sie rauchten und tranken Wodka-E. Wir lachten sie aus. Wir lachten immer alle aus, weil wir dachten, wir wären etwas Besseres. Wir lebten in unserer kleinen Fantasiewelt und ließen nur selten Außenstehende rein. Kid Cudis neues Album lief im Hintergrund. Wenn nicht er, dann Jaden Smith oder The Weekend oder YUNGBLUD oder unsere Metal-Playlist mit Ghost, Metalica und Rob Zombie. Die Musik lief leise, deine Hand ruhte sanft auf meinem Oberschenkel und wir redeten die ganze Nacht. Manchmal beobachteten wir, manchmal hörten wir zu und manchmal da stritten wir sogar oder diskutierten über die verschiedensten Themen, wie Sternzeichen oder über die Relevanz von Mathe oder Außerirdische.

Dieser Sommer war magisch. Nachts trafen wir uns, Tags über schliefen wir und am Nachmittag bräunten wir uns und grinsten dabei über beide Wangen. Wir hatten uns vor zwei Wochen kennengelernt und noch nie geküsst. Auf einmal hast du das Auto gestartet. Ich fragte, wohin du fahren willst, du sagtest nur, ich werde schon sehen. Wir fuhren durch unsere kleine Stadt, die Laternen erleuchteten sie. Die kleinen Geschäfte wie Juwelier, Bäcker, Restaurant und die großen Supermärkte und Industriefirmen, die Fabriken, wo ein Großteil der Leute arbeitete und die Imbisse, wo sie sich ihr Mittagessen holten – Currywurst Pommes rot-weiß. Auch mein Vater arbeitete hier in einer der Fabriken, bis er krank wurde – Krebs. Er starb letzten Sommer. Und jeder Winkel dieser Stadt erinnert mich an ihn. Er war ein Freund und das Familienoberhaupt in einer Person.

Wir fuhren an meiner alten Schule vorbei, wo ich vor einigen Wochen meinen Abschluss gemacht habe und du schon letztes Jahr. Und obwohl wir auf der gleichen Schule waren, haben wir nie ein Wort gewechselt. Wir trafen uns ganz zufällig, so wie man alle zufällig trifft, auf einer Party in einer Kneipe (in Köln würde man Bar sagen, aber wir sind auf dem Land). Nun wir fuhren auch an dieser Kneipe vorbei und bogen dann schließlich in eine Wohngegend ab. Haus an Haus, Einfamilien-, Mehrfamilien-, Zweifamilienhäuser, ein Spielplatz, ein Kindergarten, ein großer protziger Garten. Wohin wir fuhren, fragte ich wieder, wirst du schon sehen, sagte er abermals und lachte. Wieder bogen wir ab, diesmal kamen wir auf eine kleine, enge Landstraße. Links ein Maisfeld – rechts eine Kuhweide und überall riesige Strommasten, geradeaus ein Laubwald. Am Ende der Straße bogen wir ab und ich wusste wo wir hinwollten. Im Prinzip waren wir schon da. Auf der anderen Seite des Maisfelds lief die Straße weiter und gegenüber dem Maisfeld, auf der anderen Seite, verlief ein Weizenfeld, mit einer Steigung nach unten, sodass man von der Bank vor dem Maisfeld die Straßen sehen konnte, welche hinter dem Weizenfeld verliefen und zur nächsten kleinen Stadt führten. Du parktest das Auto neben der Bank und wir stiegen aus. Die Luft war frisch, feucht und mild. Es war kurz vor Sonnenaufgang, deswegen waren wir hier. Deswegen waren wir hier, um den Sonnenaufgang zu sehen. Von hier aus hat man einen wunderschönen Blick, nur gestört (oder bereichert) von den riesigen Strommasten. Wir betrachteten den Himmel. Sterne waren nicht mehr zu sehen. Der Himmel färbte sich schon in ein helleres blau. Nur noch der Mond war sichtbar und der Morgenstern, gleichzeitig der Abendstern, gleichzeitig die Venus. Venus – das war mein Spitzname und deiner war Mars. Geschuldet den Anfangsbuchstaben unserer Vornamen. Wir fanden es witzig uns so zu nennen. Symbolisch für Weiblichkeit und Männlichkeit – durch hunderttausende Kilometer getrennt, benannt nach Göttern und doch vereint, vereint zumindest durch uns. Wir waren vereint hier auf der Erde, auf dieser Bank, an diesem Morgen, in unserer Kleinstadt. Da sprachen wir nicht mehr, da küssten wir uns zum ersten Mal und dachten, dass wir für immer sind.

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