Da sitzt er nun – so gefangen – so hilflos – so alleine – so schuldig – so dreist grinsend.
Limpa kam so schnell wie möglich zum Revier, stand neben Valerie hinter dem scheinbaren Spiegel und beobachtete den unsichtbaren Kölner, wie er sie direkt durch die Scheibe anstarrte, obwohl er sie nicht sehen konnte.
„Was bringt einen Menschen so etwas mit so einer Freude zu tun? Für jemanden mit meinem Beruf ist es höchst ungesund sich solche Fragen zu stellen. Fast drei Monate jagen wir dich nun schon, zehn Frauen hast du mindestens auf dem Gewissen, zehn zerstörte Familien. Und was hast du erst mit Valerie gemacht?“, sie drehte den Kopf zur Seite, „Guck sie dir an! Ein Häufchen Elend! Wochenlang hockte sie alleine im Wald, auf der Suche nach dir. Total verwahrlost, abgeschnitten von der Realität, am Rande des Wahnsinns. Aber sie hält sich wacker – jetzt hat sie dich – jetzt kannst du ihr nicht mehr entkommen. Ganz alleine hat sie es geschafft.“, dachte Limpa weiterhin den unsichtbaren Kölner beobachtend.
Die Sonne schien, seit Wochen zum ersten mal wieder auf einem blauen Hintergrund. Zum ersten mal waren die Blätter trocken und ihre Farben kamen im Wind richtig zur Geltung. Die Straße war nicht mehr von riesigen Pfützen übersaht und die Leute hoben ihre Köpfe. Zum einen, weil es nicht mehr regnete, zum anderen, weil sie sich irgendwie sicherer fühlten.
Kommissarin Olimpia Wolf betrat den zweiten Verhörraum, unterm Arm eine Mappe, Haare streng in einen strafen Zopf gebunden, ein Glas Wasser in der zittrigen Hand. Der unsichtbare Kölner ließ seine in Handschellen gelegten Hände, so laut wie er konnte, vom Tisch in seinen Schoß plumpsen, um seine Hüfte war er an den Stuhl gekettet, sein Hemd war blutverschmiert. Am Tisch angekommen blieb Limpa regungslos stehen, so als würde sie noch ein mal in sich gehen, wie der Eiskunstläufer, vor seiner Kür, der sich in seine Anfangspose begab – Limpa begab sich scheinbar selbstbewusst in ihre Anfangspose: sie setzte sich ihm gegenüber, stellte davor ihr Glas ab und bereitete die Mappe wortlos vor sich aus. Darin befanden sich die Fotos der Leiche die er in der Innenstadt zurückließ – Saskia Klein – und etwaige Unterlagen, Berichte und Analysen zum Fall. Er guckte sich die Fotos interessiert an, beugte sich sogar leicht aus seinem Stuhl nach vorne – Limpa ekelte sich.
„Du kannst mich Kurat nennen.“, er guckte von den Fotos hoch, „Deine Kollegin wollte eine Alternative zu unsichtbarer Kölner.“, er lehnte sich wieder entspannt in seinem Stuhl zurück und legte seine Hände samt der Handschellen ordentlich in seinem Stoß ab, „Vor allem hat mich aber keiner gefragt, ob ich wirklich Kölner bin, vielleicht bin ich aus Düsseldorf und töte, weil ich Kölner hasse. Dem ist aber natürlich nicht so. Mit gefällt mein Spitzname…“
„Ist das dein Name – Kurat?“, unterbrach sie seinen nicht enden wollenden Redefluss.
„Nein, aber google es mal.“, er nickte ihr vielsagend zu, so als würde sie wissen was er meinte.
„Unsichtbar bist du übrigens auch nicht.“, seufzte sie und lehnte sich kraftlos in ihren Stuhl nach hinten.
„Warum so demotiviert Kommissarin…“
„Wolf.“, ergänzte sie.
„Kommissarin Wolf, haben sie schlecht geschlafen? Oder zu lange gefeiert? Oder einfach keine Lust mehr?“
„Hör auf zu reden.“, rief sie die flache Hand auf den Tisch hauend.
„Aber ich dachte sie wollen reden?! Dabei stellen sie gar keine Fragen.“
„Du machst es mir zu leicht.“, drückte sie durch die geschlossenen Zähne.
Er verzog das Gesicht zu einer zufriedenen Grimasse, als hätte er gerade in Monopoly gewonnen und der Verlierer würde wie ein kleines Kätzchen getränkt. Limpa machte es ihm nach und presste ihre Lippen fest zusammen und grinste krampfhaft, als hätte sie große Schmerzen und versuchte diese durch das Lachen zu verbergen. Blitzartig kam sie wieder zu sich. Ich darf mich nicht auf seine Spielchen einlassen. Ich muss professionell bleiben. Das ist nichts persönliches.
„Fangen wir also an.“, atmete sie aus, „Das auf den Fotos ist Saskia Klein. Sie war 23 Jahre alt, kam gerade zurück vom Feiern und wollte am nächsten Tag zurück ins Krankenhaus zu ihrer Nachtschicht, sie war nämlich Krankenschwester. Zuhause warteten zwei Hunde auf sie. Saskia hatte mehrere Geschwister, einen Freund, mit dem sie zusammenziehen wollte, der Mietvertrag war sogar schon unterschrieben.“
„Und weiter?“, fragte er gelangweilt.
„Warum Saskia?“
„Warum nicht sie?“
„Gab es ein Schema bei der Wahl deiner Opfer?“
„Nein.“
„Warum hast du sie nicht verbrannt?“
„Wurde gestört, musste verschwinden.“
„War Maria Fischer dein erstes Opfer?“
„Wer ist Maria Fischer?“
Limpa holte ein Foto aus ihrer Mappe.
„Ja.“, antwortete er zufrieden.
„Du hast davor also nie getötet?“
„Nein.“
„Warum hast du sie verbrannt?“
„Woher wisst ihr davon?“, er wurde aufmerksam.
„Der Jäger im Wald bemerkte den Rauch und meldete es uns.“, Limpa sammelte die Fotos wieder ein. Er lehnte sich wieder nach hinten und nickte in die Sonne starrend.
„Deine Kollegin, die mich verhaftet hat, hat das herausgefunden, nicht wahr?“
„Valerie Topika, sie hatte die Verantwortung bei deinem Fall.“
„Warum befragt sie mich nicht? Ich muss ihr noch gratulieren, zu ihrem Erfolg und dass sie mein Platz gefunden hat.“, sagte er lächelnd.
„Kannst du später auch noch tun. Lass uns erst mal die Details der Morde durchgehen.“
Er rückte in seinem Stuhl etwas hin und her und machte es sich bequem, Limpa blickte ihn aufmerksam an und wartete bis er ihr ein Zeichen gab, dass er bereit war.
Hinter der Scheibe im Kontrollüberwachungsraum reichte Gabi Valerie einen Tee.
„Der ist mit Schuss.“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie drehte sich zu ihm und lächelte dankbar.
„Und wie läuft es?“, erkundigte er sich.
„Pervers.“, sie trank einen Schluck vom Tee, spürte wie ihre Schultern lockerer wurden und die Anspannung aus ihrem Körper verschwand.
„Wie fühlst du dich jetzt mit allem?“
„Ganz gut“, sie zögerte, „soweit.“
„Val! Du hast ihn eigentlich alleine gefunden und geschnappt. Ist dir das klar? Einen der gefährlichsten Verbrecher den wir hier je hatten. Das stinkt förmlich nach einer Beförderung, zumindest nach einer Gehaltserhöhung. Verstehst du das überhaupt?“, bei den letzten Worten schüttelte er sie, so dass etwas vom Tee auf den Fußboden schwappte.
„Gabriel! Verdammt!“, sie stellte die Tasse ab.
Er rannte raus und kam wenige Sekunden mit einer Rolle Zewa wieder, kniete sich vor Valerie und wischte den Boden trocken.
„Nein, ich verstehe noch überhaupt gar nichts.“, Gabriel guckte sie von unten an, „Ich bin noch ganz durcheinander.“
„Offensichtlich! Kleckerst hier mit Tee und ich soll es auch noch sauber machen.“, er stand wieder neben ihr.
Valerie schaltete die Lautsprecher an um Olimpia und Kurat wieder hören zu können.
„War es immer dieses Auto, mit dem du die Leichen transportiert hast oder hattest du mehrere?“
„Nein nur das eine.“
„Wie bist du vorgegangen?“
„Nun nach dem ich das Opfer meiner Begierde“, Olimpia verdrehte die Augen, „erblickte, da gab es immer diesen besonderen Moment indem ich wusste, dass sie es war.“, sie musste ihren Würgereiz unterdrücken, „Nun beim Prozess war ich immer abwechslungsreich: mal benutze ich ein Messer, mal erdrosselte ich sie mit bloßen Händen, mal brach ihr das Genick und einmal da benutze ich eine Plastiktüte – sie erstickte so jämmerlich.“
Limpa sah sich nach einem Mülleimer um in den sie sich übergeben konnte, Kurat stoppte seine Erzählung und blickte sie verwundert an. Daraufhin sammelte sie sich, atmete durch und deutete ihm weiter zu reden. Er räusperte sich sichtlich irritiert: „Nach der vollbrachten Tat“, er zögerte, „genoss ich ich den Moment, bis ich die Leiche schließlich ins Auto beförderte und den Ort des Geschehens reinigte.“
„Wie kann es sein, dass wir nie Spuren gefunden haben, bis auf das eine mal.“
„Talent.“, sagte er stolz, „Jetzt erst kommt das beste: Ich brachte die toten Mädchen in den Wald und machte ein Feuer – ein zauberhaftes, großes warmes, beruhigendes Feuer, an dem ich mich wärmen konnte.“, er rieb sich die Hände aneinander, die Handschellen klimperten, „Stundenlang blieb ich stehen und schaute direkt in die Flamme, wie sich der leblose Körper langsam verformte und zu Asche wurde. Was vom Feuer übrig blieb kam in den Fluss und wenn sie nicht auferstanden sind, dann sind sie heue noch tot – Ende.“
„Warum nur junge Frauen?“
„Such dir was aus“, er zuckte mit den Schultern, „es war entweder der Tod meiner Mutter bei meiner Geburt oder der tödliche Unfall meiner älteren Schwester oder die Misshandlung durch mein Kindermädchen oder eine neue psychische Krankheit bei der man nur junge hübsche Frauen ermordet.“, er lachte. Limpa schüttelte sich. Die Sonne strahlte immer noch mit voller Kraft in den Verhörraum, sie stand auf und ließ die Jalousie runter. Er gab irgendeinen unwitzigen Kommentar ab, sich die Augen reibend ignorierte sie seine blöde Bemerkung und fuhr fort: „Hier ist eine Liste mit Namen und Fotos der zehn Vermissten – gab es darüber hinaus noch jemanden den du getötet hast? Kollateralschäden oder jemand der noch nicht als vermisst gemeldet wurde?“
„Nein nur zehn.“, er guckte sich die Fotos erst an, nachdem er geantwortet hat, „Nur zehn“, sagte er nachdenklich, „bevor ihr mich gefasst habt.“
„Mir kommt es bloß so vor Kurat, dass das genau dein Ziel war – gefasst zu werden.“
„Dann kennst du mich ja besser als ich mich.“
„Warum die Pause? Warum die Rückkehr?“
Er grinste: „Urlaub und irgendwann ist der schönste Urlaub auch vorbei.“
„Bist du in deinem Urlaub weggefahren?“
„Nach Island. Es war fantastisch.“
„Kauf ich dir nicht ab.“, sie lehnte sich zurück.
„Hast du eine bessere Geschichte?“
„Du wusstest, dass wir dir auf der Schliche waren und hast gewartet bist du dich sicher gefühlt hast – so simpel und einfach zu gleich. Aber eher glaube ich, dass du genau wusstest, dass es mit deinem Hobby nicht mehr lange weiter gehen wird, aber vor deinem Abtritt, nach deiner Pause, wolltest du noch einmal zuschlagen, bevor du dann schließlich in den Knast musst.“
„Ist doch ein würdevoller Abgang findest du nicht Kommissarin Wolf?“
„Oh doch und wie.“, sie trank ihr Wasser in einem Schluck leer, innerlich kochte sie, „Gut, zum weiteren Vorgehen: dir werden Fingerabdrücke und eine DNA-Probe entnommen, damit wir die mit den Spüren am Tatort von Saskia Klein vergleichen können. Bis der Prozess startet kommst du erst mal in Untersuchungshaft. Es kann sein, dass wir weitere Fragen haben, dann kommen noch mal auf dich zurück.“
„Was ist mit meinem Anwalt?“
„Denkst du der kann dir noch helfen?“
„Seien sie doch nicht so jähzornig.“
„Du kannst gleich anrufen, ich gebe das meinem Kollegen weiter.“
Limpa sammelte ihre Sachen wieder ein und verließ den Raum. Obwohl er verhaftet ist und die Beweise erdrückend sind, also er wurde bei frischer Tat ertappt, war Limpa nicht befriedigt.
„Karsten kümmer dich um die Fingerabdrücke und sein scheiß Telefonat.“, sagte sie im Vorbeigehen und verschwand lautlos in ihrem Büro. „Vielleicht ist es bloß seine geisteskranke, großkotzige Art die mich stört. Der Typ hat mich echt alleine durch seine Erzählungen fast zum kotzen gebracht.“, dachte sie.
Nachricht von Adam: Eva geht es dir gut?
Limpa tippte als Antwort: Der normale Wahnsinn. Ich hoffe, du empfängst mich mit Abendessen.
Weil sie gerade eh schon am Handy war, schaute sie was die Medien über ihren heiß geliebten unsichtbaren Kölner schrieben. Die Presse ist völlig außer sich , bei Twitter geht der Hashtag #unkoelner viral. Die Leute sind so sensationsgeil und wollen unbedingt ein Foto von ihm, spekulieren über sein Wahnsinnsaussehen, wollen seine Sicht der Dinge hören, sein Schicksal verstehen, was ihn zu der Tat gebracht hat. Limpa wurde wieder schlecht. Eine Minderheit, wahrscheinlich die besorgten Eltern von Mädchen sprachen all ihren Hass gegen ihn aus und gleichzeitig ihre Erleichterung über seine Festnahme. Die Presse schrieb kuriose Artikel mit allen möglichen falschen – wie Limpa wusste – Vermutungen: der unsichtbare Kölner soll aus der Psychiatrie ausgebrochen sein, die Polizei versteckt noch zwanzig seiner Leichen. Weil zehn ja noch nicht schlimm genug sind, kommentierte Limpa in ihrem Kopf. Und weiter schrieben sie (wiederholt), dass die Polizei ihn nur schnappen konnte, weil er es so wollte – wäre es nicht sein ausdrücklicher Wunsch gewesen, verhaftet zu werden, würden die unfähigen, kölner Beamten immer noch im dunkeln tappen. Limpa lachte bei der Stelle laut auf.
Dunkelgrüne Tannen schwebten im Wind, Vögel unterhielten sich sanghaft, im Hintergrund die Sonne auf blauem Untergrund und auf dem flachen Hügel im Haus Adam malend mit Ölfarbe, vor der Staffelei. Die nächste Ausstellung war schon geplant, obwohl die letzte erst vor zwei Tagen gewesen ist. Hier im Haus sollte sie stattfinden, abseits der Stadt. Er wusste schon gar nicht mehr wohin mit seinen Ideen und den fertigen Bildern. Limpa brachte ihm fast jeden Tag eine neue Leinwand, selber verließ er kaum noch das Haus. Von morgens bis abends war er wie im Rausch, aus dem er immer, wenn Limpa nach Hause kam, direkt in den nächsten überging und sie mit seiner Liebe überschüttete, sodass Limpa zuhause bei Adam auf keine negativen, die Arbeit betreffenden Gedanken kommen konnte. Er sprühte über vor Energie und steckte alle in seiner Umgebung damit an.
Als Limpa am Abend Heim kam, fragte sie ihn, warum er die Ausstellung im Haus ausrichten wollte und nicht wie üblich in der Galerie. „Bringst es gar nicht mehr fertig in die Stadt zu fahren?“, neckte sie ihn. Er seufzte und sagte nur, dass diese Bilder in keine Galerie passen würden, sie müssen hier in diesem Licht, in dieser Umgebung wahrgenommen werden, hier wo sie entstanden sind. Limpa stand vom Sofa auf, ging zu Adam rüber, küsste ihn, zog ihre Jacke aus und begab sich in die Küche um sich das Essen aufzuwärmen.
„Wie läuft denn der Fall eigentlich?“, fragte er scheinbar am Rande, fast als würde es ihn in Wirklichkeit nicht interessieren.
„Gleiche Antwort wie immer – mehr als in den Nachrichten steht darf ich dir nicht erzählen. Obwohl … ich weiß auch nicht, ich habe ein ganz komisches Gefühl bei der Sache und das hat mich noch nie getäuscht. Aber ich kann dir beim besten Willen nicht sagen, was es ist – das weiß ich selber nicht.“
„Vielleicht gefällt dir nicht, dass es am Ende doch alles so schnell ging.“, sagte er ganz beiläufig, ohne Regung in seinem Gesicht oder in seiner Stimmlage.
„Nein ich habe den Typen heute verhört und der ist mir nicht geheuer.“
„Schatz es ist ein Serienkiller. Was erwartest du?“
„Schon. Nur…“
„Komm, du machst dir zu viele Gedanken. Sag mir lieber wie du mein neues Bild findest?“, er blickte sie sanft und liebevoll an.
Zwei Tage später saß Valerie ungeduldig auf ihrem Stuhl und drehte sich andauernd um sich selber, bis ihr so schlecht wurde, dass sie aufhören musste, nur um dann mit den Fingern schnell und nervös auf den Tisch zu klopfen, um sich dann wieder weiter zu drehen, wenn das Schwindelgefühl vorbei war. Gegen zehn kam Olimpia ins Revier. Sie ging wortlos an Valerie vorbei, holte sich einen Kaffee, setzte sich und begrüßte sie erst dann: „Guten Morgen Heldin.“
„Die Spüren stimmen nicht mit seinen Fingerabdrücken überein.“, platzte es aus ihr heraus, hätte man sie aber nicht sprechen gehört, hätte man nicht sagen können, ob sie sich bewegt hat.
„Was? Wovon sprichst du?“
„Die Spuren vom Tatort von Saskia Klein stimmen nicht mit den Werten von Kurat überein.“
Limpa schluckte.
Ein Gedanke zu „Krimi zwischendurch – Kapitel 6: Kurat“