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Weihnachtszwischendurch

So wie jedes Jahr, hatten wir uns zu Weihnachten viel vorgenommen. Wir wollten alles am Tag davor kochen, Schlitten fahren, alle Geschenke kaufen und einpacken und natürlich das Haus schmücken. Ihr kennt das – alles wie immer…

Die Verwandtschaft sollte dieses Jahr zu uns kommen. Ich freute mich schon riesig, alle würden zu uns ins neue Haus kommen: Tante Olivia, Onkel Tom und die Zwillinge, Oma und Opa, Onkel Chris, zwei Kollegen von Mama und unsere Nachbarin Monica, ihr Mann und ihre Kinder. Ihr müsstet Jonas, meinen kleinen Bruder, sehen – der ist so aufgeregt. Es waren nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Und eine der wichtigsten Fragen ist natürlich das Wetter: es lag zwar kaum Schnee aber dafür war es jeden Morgen umso frostiger und die Sonne schien – im Hintergrund der blaue Himmel. Jetzt fragt ihr euch bestimmt wo wir Schlitten fahren wollen, wenn kaum Schnee da ist – genau das frage ich mich auch die ganze Zeit.

Jonas und ich standen vor dem Fenster im Wohnzimmer (das machten wir fast jeden Nachmittag bis Papa kommt), eigentlich ja an der Heizung aber ganz praktisch, dass hier auch ein Fenster ist. Mama werkelte in der Küche und Papa war noch arbeiten. Jedenfalls standen wir an der Heizung und blickten aus dem Fenster auf unsere Straße – alles wie immer, kaum Leute, es sah windig aus, die Sonne ging tiefer, der Himmel färbte sich köstlich rotorange. Die Häuser müssen wohl alle frieren bei einem nach dem anderen kommt schöne weiße Watte aus dem Schornstein (ich weiß natürlich, dass das nur Rauch ist, aber es sieht so aus). So standen wir eine ganze Weile bis es ganz dunkel wurde. Mama sang mit dem Radio und jede Stunde lief das gleiche Weihnachtslied.

Endlich kam Papa nach Hause und unterm Arm hatte er einen riesigen Weihnachtsbaum. Wir aßen zu Abend und schmückten den Baum, es dauerte ganz schön lange. Heute durften wir sogar länger wach bleiben, weil morgen keine Schule war. Später saßen wir auf dem Sofa und schauten eine DVD. Doch Jonas verpasste leider das Ende – der schlief nämlich ein und unser Scherzkeks (unsere Mama) erlaubte sich einen Spaß und steckte Jonas den kleinen Finger in die Nase aber der merkte nichts, sondern schlief weiter – Papa und ich kriegten uns gar nicht mehr ein vor Lachen. Schließlich wurde er aber doch noch wach, erschrak und wedelte mit den Armen, ganz verschlafen rieb er sich die Augen und gähnte lauthals durchs ganze Haus. Als wir dann im Bett lagen, fragte ich Mama ob es denn noch schneien würde, weil wir doch Schlitten fahren wollten. Sie sagte, dass der Wetterbericht versprochen hatte, dass es die ganze Nacht schneien würde.

Und am nächsten Morgen war es dann wirklich soweit – es hatte mächtig geschneit. Jonas sprang schon auf meinem Bett rum, als ich gerade wach wurde. Wir wollten natürlich keine Zeit verlieren und machten uns direkt auf die Socken. Hinter einem kleinen Wald auf einer hügeligen Lichtung fuhren wir, wie jedes Jahr, den ganzen Tag Schlitten. Kurz bevor es dunkel wurde kamen wir Heim und wärmten uns mit einem Kakao. Mama und Papa schrieben gerade die Einkaufsliste für morgen. Jonas und ich räumten sein Zimmer auf – damit sich unser Besuch auch rein traut, ohne Angst zu haben auf einen Legostein zu treten.

Schon früh am nächsten Morgen fingen Jonas und Mama an zu kochen und zu backen und Papa und ich machten uns fertig und wollten schnell los. Ich zog mich an: graue Glitzerstrumpfhose, rotes Wollkleid, weißer Mantel, schwarze Lederstiefel, roter warmer Schal mit passenden Handschuhen und eine weiße Bommelmütze. Während wir fuhren wurde es endlich hell bei uns in der Stadt, ein wunderschöner Sonnenaufgang erwartete uns hinter jeden Hügel den wir runterfuhren. Niemand störte die Sonne – sie konnte in Ruhe aufgehen mit all ihren warmen Farben. Im Auto war es schön warm, Papa hat seine Rock CD eingeschmissen, lustig mit dem Kopf genickt und die Finger im Takt auf das Lenkrad getrommelt. Die Sonne schien uns direkt entgegen, der Wind wirbelte den Schnee nochmal auf, so dass es aussah als würde es wieder schneien.

Ich blickte aus dem Seitenfenster auf einen Wald, der sah so schön aus, ganz zugeschneit. Ich schaute ganz genau hin, weil hier gibt es manchmal Rehe und vielleicht würde ich ja eins sehen. Bald würden wir ankommen und einkaufen gehen und pünktlich zu Mama und Jonas zurückkehren und die frisch gebackenen Kekse essen.

Plötzlich störte die Sonne etwas beim Aufgehen – ein Auto fuhr auf der falschen Seite, direkt vor der Sonne, direkt auf uns zu. Papa bremste abrupt, ich drehte mich zu ihm und blickte wieder aus dem Fenster nach vorne. Papa versuchte noch irgendwie auf die andere Seite zu kommen, riss das Lenkrad um und bremste und bremste und bremste aber es war schon zu spät.

Die Frontscheibe zersprang in tausend Stücke und kurz bevor wir von den Glasscherben durchlöchert wurden, formte sich ein wunderschönes Muster auf der Scheibe, die Sonne spiegelte sich darin – wie eine goldene Schneeflocke flog das eiskalte Glas uns ins Gesicht. Die Airbags gingen auf und es wurde höllisch eng, ich bekam keine Luft mehr. Papas Hand griff noch nach mir aber ich konnte mich nicht bewegen, von allen Seiten quetschte es mich ein. Alles passiert so langsam, als würde die Zeit nicht mehr gehen. Papa schaut mich an aber ich kann mich nicht bewegen. Komischerweise höre ich keinen lauten Knall vom Aufprall – alles ist still.

Und das letzte was ich sehe sind die Augen von dem Menschen der meinen Papa und mich am Tag vor Weihnachten umgebracht hat.

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2016 ist fast vorbei. Es war mehr als chaotisch. Es ist ein leichtes dutzende Ereignisse zu finden die einfach schlichtweg scheiße gelaufen sind. Man könnte so viel sagen über das ganze Leid auf der Welt aber es fehlen die Worte. Man könnte so viel sagen was es angeblich besser machen würde aber selbst wenn es jeder hören würde passiert nichts. Die Natur des Menschen ist nämlich nicht immer gut, wenn sie es überhaupt ist.
In diesem Sinne wünsche ich jedem, dass er sich das Kindsein solange wie möglich behält- die urteilen nicht, die hassen nicht, die wollen einfach Spaß und stören sich nicht an Unwichtigem, sondern geben und nehmen Liebe- mit Freuden.
#makelovenotwar

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