preloder

Es geht darum was du daraus machst – 4. Kapitel

Meine Hände zitterten und meine Knie wurden weich. „Tanja was ist eigentlich gestern Abend passiert?“, Mila schaute mich fragend an. Ich starre meine Hände an und konnte nicht aufhören zu zittern. Ich atmete ganz tief durch, schlucke und richte meinen Blick gerade aus: „Gestern Abend beschloss ich meinen freien Freitag zu nutzen und um die Häuser zu ziehen. Ich war bei Rick in der Bar, wie immer und er, der Blödmann, er hat mir eine Predigt gehalten, genauso eine wie du am Nachmittag.“, Mila drehte sich kurz zu mir mit verdrehten Augen, „Jedenfalls bin ich dann spazieren gegangen zu all meinen Lieblingsplätzen und landete irgendwann hier“.

„Aber … mit den Schuhen?“, Mila blickte mich wieder fragend an, „Warum Tanja?“

Darauf hatte ich keine Antwort aber ich erzählte ihr von meinem verrückten Traum. „Ich sag jetzt einfach mal, dass ist das erste Zeichen, dass du wieder Arbeiten musst.“, sie lachte. „Sehr witzig Mila.“, ich atmete abermals tief durch aber es brachte nichts ich zitterte am ganzen Leib. Mila schaute mich an: „Was ist bloß los mit dir?“

„Ich kann einfach nicht aufhören zu zittern.“

Plötzlich kam alles wie aus einem gebrochenen Damm. Ich heulte, wieder mal, wie ein Kind.

„Schatz beruhige dich, alles gut.“, Mila klammerte sich mit beiden Händen ans Lenkrad und presste die Lippen fest zusammen. Sie hielt am Straßenrand an, stieg aus, ließ ihre Tür offen. Die kalte Luft strömte unmittelbar ins Auto, bei meiner Seite angekommen öffnete sie auch diese und nahm meine Hand. Ich stieg aus und sie nahm mich einfach ganz fest in den Arm. „Tanja wir alle können nicht verstehen was du durchmachst aber wir lieben dich. Ich liebe dich. Dein Bruder Mike liebt dich. Gabriel liebt dich. Elijah liebt dich immer noch. Deine zehn Mitarbeiter lieben dich und noch so viele mehr. Und du liebst uns auch. Deswegen müssen wir füreinander da sein egal wo der andere auch sein mag, ob auf Reisen oder einem Trip der anderen Sorte. Verstehst du? Du musst einfach loslassen. Wir fangen dich auf.“, flüsterte Mila mir ins Ohr. Ich drückte sie noch fester an mich und vergrub mein Gesicht in ihren blonden Locken. „Mila …“, ich schluchste laut auf.

Wir standen noch eine Weile am Straßenrand bis ich mich beruhigt hatte. Es wurde schlagartig sehr kalt. Ich hatte nur mein kleines Schwarzes an und einen langen grauen Kaschmir Cardigan, den Mila zum Glück noch im Auto hatte und natürlich meine High-Heels. Ich lehnte mich an einen Baum. Meine Füße brannten höllisch. Ich hatte riesige Blasen an den Fersen bekommen. Meine Haare sahen einfach nur schrecklich aus, als hätte ich drei Tage nicht geduscht und gleichzeitig währenddessen in die Steckdose gepackt. Der Himmel wurde dunkel, Wolken zogen auf. Es wurde windig. „Komm wir fahren, es regnet sicher wieder gleich.“, sie schaute mich aufmunternd an. Ich nickte nur. Mila war schon wieder in der Wohnung eingezogen und wich mir nicht mehr von der Seite. Nach einer Peperoni-Lieferpizza ließ ich mir ein Bad ein, legte mich anschließend ins Bett und las ein wenig. Mila kam rein und setzte sich an die Bettkante. „Morgen ist Sonntag. Hast du was vor?“

„Möchtest du wissen, ob ich vor habe Amok zu laufen?“

Sie lachte: „Nein, um Gottes Willen, nein. Ich dachte wir betreiben etwas Online-Shopping und du rufst Mike und deine Eltern an.“

„Das hört sich doch vielversprechend an.“, ich lächelte sie nickend an.

„Gut Tanja. Gute Nacht.“

Sie legte mir die Hand tröstend auf die Schulter und machte die Tür hinter sich zu.

„Hallo Mike.“

„Tanja? Bist du es?“

Ich schluckte und schloss meine Augen.

„Ja ich bin es. Wie geht es dir?“

Lange Pause.

Mike schluckte: „Gut soweit. Veronika und ich haben ein hübsches Häuschen gefunden.“

„Wow das freut mich.“, ich friemelte am Teppich rum.

„Ja aber das ist egal. Wie geht es dir?“, er redete nun langsamer und leiser weiter, „Ich konnte dich überhaupt nicht erreichen.“

„Vielleicht wollte ich das so.“, mein Hals wurde trocken.

„Ist mir schon klar, dass das dein Plan war. Hast du dabei mal an uns gedacht? Ich will dir gar keine Vorwürfe machen. Ich bin einfach froh von dir zu hören. Hast du Mum und Dad schon angerufen?“

„Noch nicht, aber ich hatte es gleich vor.“

Mila schaut mich aufmunternd an.

„Grüß Veronika von mir.“

„Sie hört gerade mit. Ich hoffe das macht dir nichts aus, aber sie macht sich auch Sorgen.“

„Nein, nein schon in Ordnung, es ist ja meine Schwägerin, stimmt’s Veronika?“

Man hörte an der Stimme, dass sie weinte: „Komm uns bitte bald wieder besuchen. Die Kinder vermissen ihre Tante.“

Ich musste mich erstmal sammeln, damit, dass Veronika weinte hatte ich nicht gerechnet.

„Ehm.. ja … ja Veronika werde ich ganz bald machen. Dann grillen wir wieder.“, meine Augen wurden feucht, ich legte den Kopf zurück in der Hoffnung, dass die Tränen von selber wieder zurück laufen würden. Sie schluchste, es kam nicht gleich ein verständliches Wort heraus: „Ich freue mich so, Tanja.“

Man hörte jetzt deutlich wie sie weinte. Einer ihrer Kinder murmelte etwas, Veronika antwortete nur es sei alles gut. Mike nahm das Telefon wieder. Meine Augen wurden feucht und meine Unterlippe zitterte, ich schaue Mila an in der Hoffnung, dass sie mir hilft. Sie deutet mir Stark zu bleiben.

„Tanja bist du noch dran?“

Ich räusperte mich und wechselte die Sitzposition auf dem Teppich: „Ja Mike ich bin noch da.“

Er sprach wieder sehr leise: „Tanja wir warten alle auf dich bei uns zuhause. Mila kann auch kommen, wenn sie mag.“

„Danke Mike, ich werde kommen.“

Mila lächelte zufrieden, dass man sie auch eingeladen hatte.

Mein Bruder Mike ist zehn Jahre älter als ich, hat eine wunderschöne Frau namens Veronika, hat zwei Lausebengel als Söhne und wie er gerade berichtet hat werden sie bald ein Haus kaufen. Mike ist Architekt, also wird das Haus ein Traum so wie ihre Wohnung jetzt, da bin ich mir sicher.

Er ist etwas kleiner als Veronika aber es stört sie nicht, er hat eine natürliche Bräune und die gleiche Augenfarbe wie ich – dunkelgrün. Sein drei-Tage-Bart ist ein Muss und er redet immer so leise. Mike hat immer auf mich aufgepasst und besonders in meiner rebellischen Phase, da hat er mich immer abgeholt und auf mich eingeredet ich soll weniger trinken und kiffen. Dann lernte ich Elijah kennen und Mike konnte sich entspannen. Jetzt musst du auf sie aufpassen, hatte er ihm gesagt als er Elijah kennen gelernt hat. Elijah hat erst viel später verstanden was genau Mike damit gemeint hat. Er wollte sich eigentlich nicht von mir trennen, aber in meiner Verfassung fand ich das für angebracht. Buchstäblich ein paar Tage später traf ich Gabriel, als ich mit meinem Bruder auf einer Hausbesichtigung war. Ich wollte nichts mit Männern zu tun haben, sondern erstmal mit mir selber klarkommen. Zu dem Zeitpunkt war alles noch nicht so schlimm. Gabriel ließ aber nicht locker und besuchte mich oft im Laden, auch wenn ich ihm immer wieder sagte, dass ich nichts von ihm will, was natürlich eine Lüge war. Ich verliebte mich nämlich sofort in ihn. Wir einigten uns darauf erstmal Freunde zu bleiben bis ich wieder ich selber war. Das konnte natürlich nicht lange gut gehen. Gabriel wollte mehr, ich auch – aber für mich ging das einfach nicht. Ich habe mir eingeredet ich muss alleine mit meinen Problemen klarkommen und die anderen können mit nicht helfen, sollen mir nicht helfen. Also beschloss ich das alleine zu schaffen und bat Mila für ein paar Tage auszuziehen. Daraus wurden zwei Wochen. Ich habe gemerkt wie traurig ich damit alle gemacht habe und ich will selber nicht mehr traurig sein. Schließlich können wir das ja selber entscheiden.

„War doch ganz einfach.“, sagte Mila nach dem Gespräch mit meinem Bruder.

Ich lachte etwas verkrampft: „Ganz einfach.“

Ich rief auch meine Eltern an. Natürlich brach meine Mutter in Tränen aus. Wir sprachen über mich, wie es weitergeht (und zwar so wie früher, es wird fleißig gearbeitet). Wir redeten über das miese Wetter (es regnete schon wieder), über Fußball (mein Vater ist ein großer Fan und wollte ich stets auf dem neusten Stand halten). Sie fragten nach Mila, nach dem Saftladen, wie es läuft, machten Witze zusammen. Mila war für sie wie ihr drittes Kind. Wir verabredeten uns am nächsten Freitag im Laden zum Frühstück. Ich war mehr als erleichtert, dass es so einfach war, wieder mit meinen Eltern zu reden. Ich merkte wie alleine ich war und wie sehr ich meine Freunde und Familie brauchte. Um Gabriel oder geschweige denn Elijah anzurufen war ich noch nicht so weit, immer eins nach dem anderen. Für den Augenblick war ich zufrieden den ersten Schritt zu mir selbst gemacht zu haben.

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